Gaza. Nach der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer werden immer noch viele Palästinenser vermisst. Nur 10 von 500 Migranten wurden nach demUntergang eines Flüchtlingsbootes in der Nähe von Malta gerettet. Ein Großteil der Vermissten stammt aus dem Gazastreifen.

Mohammed Schabab träumt von einem besseren Leben in Europa. Der 26-Jährige wollte deshalb aus dem verarmten und blockierten Gazastreifen fliehen, hat es sich jedoch in letzter Minute anders überlegt. "Ich habe Glück gehabt", sagt der junge Mann rückblickend - angesichts von Berichten über Dutzende von Palästinensern, die nach der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer zu Beginn des Monats vermisst werden.

Unter den Vermissten sind der siebenjährige Sohn und der Ehemann von Um Odaje al-Nahal. Sie hält die Bilder ihrer Angehörigen fest in der Hand. "Ich möchte schreien - vielleicht hören sie mich dann in Italien und sagen mir, dass mein Sohn und mein Mann noch am Leben sind", sagt die 32-Jährige aus Gaza verzweifelt.

Der jüngste Gaza-Krieg mit seinen verheerenden Zerstörungen hat eine Welle der Auswanderung aus der Küstenenklave ausgelöst, in der rund 1,8 Millionen Menschen leben. Tausende Palästinensern haben bereits versucht, mit der Hilfe von Menschenschmugglern über die Sinai-Insel und das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

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Sie wollen den erbärmlichen Lebensbedingungen in dem schmalen Küstenstreifen und der Hoffnungslosigkeit entfliehen. Der Fluchtweg führt durch die wenigen noch offenen Schmugglertunnel auf die Sinai-Halbinsel und von dort über das Mittelmeer.

Schmuggler nehmen bis zu 1200 Dollar

"Ich habe den Gazastreifen durch einen Tunnel verlassen", erzählt Schabab. Er folgte dabei dem Vorbild eines Freundes, der ihn nach seiner geglückten Flucht aus Italien angerufen hatte. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen auf der Sinai-Insel hätten ihn dann jedoch abgeschreckt, erklärt er.

"Ich wollte das Risiko nicht eingehen." Vor seinem abgebrochenen Fluchtversuch habe er Schmugglern in Rafah an der Grenze zu Ägypten 800 Dollar bezahlt. "Sie sagten mir, in Alexandria müsste ich einem anderen Schmuggler weitere 1200 Dollar geben, damit er mich auf ein Schiff nach Italien oder Malta bringt."

Die Flucht aus dem seit acht Jahren blockierten Gazastreifen ist schwierig und voller Gefahren, wie der Untergang eines Flüchtlingsbootes mit vielen Palästinensern an Bord in der Nähe von Malta beweist. Überlebende berichteten, Menschenschmuggler hätten das Schiff absichtlich versenkt, nachdem die Insassen sich geweigert hätten, auf hoher See in ein kleineres Boot umzusteigen.

Flucht, um woanders eine besser Zukunft aufzubauen

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) waren viele der 500 Flüchtlinge auf dem versenkten Schiff Palästinenser. "Wir haben vorher vor allem Syrer gesehen, aber jetzt sind es immer mehr Palästinenser", sagte Christiane Berthiaume. "Es sieht nach einem neuen Phänomen aus." Immer mehr Menschen aus Gaza setzten ihr Leben auf Schmugglerbooten im Mittelmeer aufs Spiel.

Es sind vor allem ledige junge Männer unter 30 wie Schabab, die den Gazastreifen verlassen wollen, um sich anderswo eine bessere Zukunft aufzubauen. Als Gründe nennt er die israelische Blockade und die Arbeitslosigkeit. "Meine ganze Familie ist arm." Nach Angaben der israelischen Zeitung "Haaretz" gibt es jedoch auch wachsende interne Kritik an der unnachgiebigen Politik der im Gazastreifen herrschenden Hamas.

Die Hamas versucht jedoch, die ganze Verantwortung für die Misere in ihrem Herrschaftsbereich auf Israel abzuwälzen. Hamas-Führer Salah al-Bardawil wirft Israel vor, mit seiner Blockadepolitik die Flüchtlingswelle ausgelöst zu haben. Die Einheitsregierung der Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas müsse "bessere humanitäre und wirtschaftliche Bedingungen für die Bevölkerung im Gazastreifen schaffen", um den Exodus zu stoppen, forderte er. (dpa)