Erfurt/Potsdam. Wie erwartet konnte die CDU bei den Landtagswahlen in Thüringen ihre Spitzenposition bewahren, die SPD in Brandenburg. Die Grünen sind knapp drin, die FDP ist dagegen aus beiden Parlamenten geflogen - die europakritische AfD kommt in beiden Ländern auf ein zweistelliges Ergebnis.
Hochspannung nach der Landtagswahl in Thüringen: Laut vorläufigem Endergebnis vom Sonntagabend war in dem Bundesland nach zweieinhalb Jahrzehnten CDU-Vorherrschaft ein Regierungswechsel zu Rot-Rot-Grün unter Linke-Führung möglich - aber auch eine Fortsetzung der bisherigen schwarz-roten Koalition. In Brandenburg dagegen bleibt die seit 1990 regierende SPD an der Macht und kann sich den Bündnispartner aussuchen - Linke oder CDU.
Die größte Überraschung geht auf das Konto der AfD: Wie schon vor zwei Wochen in Sachsen zieht die eurokritische Partei auch in Erfurt und Potsdam aus dem Stand mit Spitzenergebnissen in die Parlamente ein. Damit verändert die AfD die Parteienlandschaft fundamental. Die Grünen schafften den Wiedereinzug in beide Landtage. Die FDP verabschiedet sich aus den letzten ostdeutschen Parlamenten - und fällt auf ein kaum noch messbares Niveau. Bei den Liberalen herrscht Ratlosigkeit.
Die Wahlbeteiligung lag bei enttäuschenden 54 Prozent in Thüringen und sogar nur 49 Prozent in Brandenburg.
CDU in Thüringen klar vorne - aber wer regiert, bleibt offen
Die CDU hat die Landtagswahl in Thüringen gewonnen, es ist aber nicht sicher, ob sie an der Regierung bleibt. Rechnerisch war nach Hochrechnungen von ARD und ZDF auch eine rot-rot-grüne Koalition möglich - obwohl die SPD das schwächste Ergebnis seit der Wiedervereinigung in dem Bundesland einfuhr. In der Sitzverteilung deutete sich sowohl für Rot-Rot-Grün als auch für Schwarz-Rot eine knappe Mehrheit an. Sowohl CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als auch Linke-Spitzenkandidat Bodo Ramelow riefen sich als Wahlsieger aus.
Die Liberalen flogen den Hochrechnungen zufolge wie schon in Sachsen nach nur einer Legislaturperiode wieder aus dem Parlament. Die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) dagegen zieht mit einem zweistelligen Ergebnis erstmals in den Thüringer Landtag ein. Die Grünen kamen knapp über die Fünf-Prozent-Hürde.
Trotz des schlechten Abschneidens bleibt die SPD "Königsmacher" in Thüringen. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) könnte zusammen mit den Sozialdemokraten weiterregieren. Auch ein Bündnis von Linken, SPD und Grünen mit Ramelow als erstem linken Ministerpräsidenten seit der Wiedervereinigung scheint möglich. Ein Zusammengehen mit der AfD hatte Lieberknecht im Wahlkampf ausgeschlossen.
Derzeit ergibt sich für das Parlament folgende Zusammensetzung: CDU 34, Linke 28, SPD 12, AfD 11, Grüne 6. Nach diesem Ergebnis wären sowohl ein Regierungswechsel als auch Schwarz-Rot knapp möglich. Die Prozentzahlen: CDU: 33,5; Linke: 28,2; SPD: 12,4; FDP: 2,5; Grüne: 5.7; AfD: 10,6, Sonstige: 7,1.
CDU reklamiert Wahlsieg - und die Linke auch
"Ich freue mich riesig. Wir haben die Wahlen gewonnen", sagte Lieberknecht. "Rot-Rot hat keine Mehrheit." Der Auftrag zur Regierungsbildung liege bei der CDU. Die Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre könne fortgesetzt werden.
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Auch Ramelow sagte: "Wir haben die Wahl gewonnen." Thüringen könne parlamentarische Geschichte schreiben, für Analysen sei es vor Auszählung aller Stimmen aber noch zu früh. Wie die Bundesvorsitzende Katja Kipping wertete er das Ergebnis als Regierungsauftrag. "Wir haben ein so gutes Ergebnis erzielt, das ist ein klarer Regierungsauftrag für uns - wenn es denn Mehrheiten gibt."
SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert räumte eine schwere Niederlage ein. Trotz der Verluste habe die SPD aber ihr Ziel nicht aufgegeben, in Thüringen mitzugestalten. Personelle Konsequenzen schloss Taubert zunächst aus. Der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel dagegen resümierte: "Das ist eine herbe Niederlage und es muss sicher einen Neuanfang geben." Gabriel gab dem Landesverband die Schuld am schlechten Abschneiden. Gleichzeitig betonte er, die Thüringer SPD habe bei der Regierungsbildung freie Hand.
Grüne offen für alle Optionen
Die Grünen-Spitzenkandidatin Anja Siegesmund zeigte sich offen: "Wir werden uns keiner Einladung zu Gesprächen einer demokratischen Partei verschließen", sagte sie. Entscheidend sei, dass die Grünen - wenn auch knapp - wieder in den Landtag eingezogen seien.
Zur Wahl aufgerufen waren 1,84 Millionen Bürger, darunter 39 000 Erstwähler. Um die regulär 88 Mandate im Landtag in Erfurt bewarben sich 406 Kandidaten. 12 Parteien traten mit Landeslisten an.
Die CDU hatte schon die Wahl 2009 mit 31,2 Prozent gewonnen, im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen damals allerdings deutliche Verluste erlitten. Die Linke erreichte als zweitstärkste Kraft 27,4 Prozent, die in Thüringen generell schwächere SPD konnte auf 18,5 Prozent zulegen. Die FDP war mit 7,6 Prozent im Sog der Bundestagswahl erstmals in den Landtag eingezogen. Für die Grünen stimmten damals 6,2 Prozent. Die bisherige Sitzverteilung im Landtag: CDU (30), Linke (26), SPD (19), FDP (7), Grüne (6).
Brandenburgs Regierungschef hat die Wahl
Weiter Rot-Rot oder Wechsel zu Rot-Schwarz: Die SPD hat die Landtagswahl in Brandenburg erneut klar gewonnen und kann zwischen der CDU und der Linken als Koalitionspartner wählen. Die Union überholte am Sonntag die derzeit mitregierende Linke und wurde nach vielen Jahren wieder zweitstärkste Kraft im Landesparlament - mit beiden hätte die SPD dort eine Mehrheit. "Ich habe beiden heute schon Sondierungsgespräche angeboten. Meine Einladung steht", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Sonntagabend.
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Die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) schaffte es aus dem Stand auf ein zweistelliges Ergebnis. Die FDP dagegen erlebte ein weiteres Debakel und muss erneut ein Landesparlament verlassen. Die Grünen schafften es wieder in den Landtag. Die Wahlbeteiligung war mit nur noch 49,0 bis 50,0 Prozent deutlich geringer als bei der Landtagswahl 2009 (67,0 Prozent). Nach Auszählung aller Stimmen erreichte die seit 1990 regierende SPD als Wahlsieger laut Wahlleitung 31,9 Prozent und lag knapp unter dem Niveau von 2009. Die mitregierende Linkspartei sackte deutlich auf 18,6 Prozent ab und fiel hinter die CDU zurück, die auf 23,0 Prozent zulegte. Die AfD fuhr 12,2 Prozent ein. Die Grünen kamen auf 6,2 Prozent, die FDP auf 1,5 Prozent. Die Mandate verteilen sich nach Hochrechnungen wie folgt: SPD 30, CDU 21, Linke 17, AfD 11, Grüne 6, Freie Wähler 3 (ein Direktmandat und zwei Mandate gemäß Stimmenanteilen).
CDU wirbt um Zusammenarbeit
"Rot-Rot hat sich überlebt", sagte CDU-Spitzenkandidat und Landesparteichef Michael Schierack. Die Ablösung von Rot-Rot und eine Regierungsbeteiligung der lange zerstrittenen CDU hatte er zuvor als Ziel ausgegeben, eine Koalition mit der AfD dagegen kurz vor der Wahl ausgeschlossen. SPD und CDU hatten von 1999 bis 2009 schon einmal zusammen regiert.
Traurig und enttäuscht zeigte sich Brandenburgs Justizminister Helmuth Markov (Linke). "Ich bin der Auffassung, dass Rot-Rot eine gute Arbeit geleistet hat", sagte er. "Der Wähler hat es offenbar anders gesehen." Das
Lucke feiert Abschneiden der AfD
Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke sieht im Abschneiden seiner Partei einen enormen Vertrauensbeweis. Die AfD stehe für Anliegen, die die Bürger nicht mehr bei den Altparteien vertreten sähen. "Wir sind die Kraft, die die politische Landschaft erneuert", sagte er.
Weil die FDP auch in Thüringen den Wiedereinzug verpasste, ist sie jetzt nur noch in 6 der 16 Landesparlamente vertreten. Parteichef Christian Lindner empfand das Abschneiden seiner Partei als sehr bedauerlich und schmerzhaft. "Es war für uns spürbar, dass es schwer werden wird in Brandenburg und Thüringen. Das ist für uns kein einfaches Pflaster."
Die Regierungsbildung in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnte auch Auswirkungen auf den Bundesrat haben. Wenn die schwarz-rote Koalition in Thüringen Bestand hätte und sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen ein Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten zustanden käme, hätte die große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dort eine Gestaltungsmehrheit. Gesetzesvorhaben kämen damit leichter durch die Länderkammer.
Zur Wahl aufgerufen waren mehr als 2,1 Millionen Brandenburger, darunter erstmals 38 300 Jugendliche ab 16 Jahren.
Bei der Wahl 2009 hatte die SPD 33,0 Prozent der Stimmen bekommen. Zweitstärkste Kraft wurde die Linke mit 27,2 Prozent, dahinter folgten die CDU mit 19,8, die FDP mit 7,2 und Bündnis 90/Die Grünen mit 5,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 67,0 Prozent.
Der Triumph der AfD macht die Etablierten ratlos
Mit breiter Brust sind die Politiker der Alternative für Deutschland (AfD) in diese Landtagswahlen hineingegangen - mit noch mehr Selbstvertrauen kommen sie heraus. Sachsen, Thüringen, Brandenburg: Von 0 auf 3 Landtage binnen 2 Wochen. Und das am Sonntag jeweils zweistellig.
"Man kann es einfach nicht mehr abstreiten, die Bürger dürsten nach einer politischen Erneuerung im Lande", sagt Parteichef Bernd Lucke am Sonntag, als er vor die jubelnden Parteimitglieder auf der Wahlparty in Potsdam tritt. Und: "Sie dürsten nach dieser Erneuerung, weil sie die Profillosigkeit der Alt-Parteien satt haben."
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Lucke spricht von einem "fantastischen Wahlergebnis", weil die AfD in Brandenburg und Thüringen erneut ein zweistelliges Ergebnis erzielt hat. Herrschte auf der Berliner Wahlparty zur Abstimmung in Sachsen vor zwei Wochen noch zurückhaltende Freude vor, jubeln die Anhänger in Potsdam nun lautstark. Auch das Ausscheiden der FDP aus beiden Landesparlamenten sorgt für laute, helle Freude bei den vorwiegend männlichen Parteifreunden. Anzüge dominieren das Bild.
Die Partei will noch offensiver gegen den Euro ins Feld ziehen
Die AfD stehe für vernunft- und wertorientierte Politik, sagt Lucke hoch erhobenen Kopfes. "Dafür werden wir anerkannt von den Bürgern, und das offenbar von Wahl zu Wahl mehr." Man werde gegen den Euro zu Felde ziehen und sich für haushaltspolitische Stabilität einsetzen, verspricht ein strahlender Parteichef.
Brandenburgs Landesparteichef Alexander Gauland reckt bei den ersten Prognosen die Arme hoch und spricht danach vom "glücklichsten Tag in meinem Leben". Nun gehe es auf zu den Wahlen in Hamburg und Bremen im kommenden Jahr, sagt er. "Wir sind in der deutschen Politik angekommen, und es wird uns daraus keiner mehr verdrängen." Die anderen müssten sich warm anziehen. Immer wieder brandet Jubel auf.
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Dass die AfD zuletzt mit großem Selbstbewusstein um Wähler warb, hat die männerdominierte Partei einer Frau zu verdanken: Frauke Petry, die in Sachsen als Spitzenkandidatin im August maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die neue Partei dort 9,7 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Denn: Nach dem guten Abschneiden der rechtskonservativen Partei in Sachsen stiegen für die AfD auch die Umfragewerte in Thüringen und Brandenburg.
Familienthemen und Stammtisch-Hoheit
Nach der Sachsenwahl waren der Brandenburger Spitzenkandidat Alexander Gauland (73) und Björn Höcke (41), der den Wahlkampf in Thüringen führt, gemeinsam mit Petry in Berlin vor die Presse getreten, um sich ein wenig im Glanz der Siegerin zu sonnen. Dabei fiel einmal mehr auf, wie unterschiedlich die Charaktere sind, die diese erst vor eineinhalb Jahren gegründete Partei prägen.
Während Petry eher auf Familienthemen und zupackende Freundlichkeit setzt, bedient das ehemalige CDU-Mitglied Gauland vorwiegend den Stammtisch. Gemeinsamkeiten entdeckt Gauland auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums. Zwei Tage vor der Landtagswahl erklärte er, bei der Ablehnung der Euro-Rettungspolitik könne er durchaus Übereinstimmungen mit den Linken erkennen. Bei der Frage, ob auch ehemalige Mitglieder rechtsradikaler Parteien in die AfD aufgenommen werden sollten, zeigt er sich offener als AfD-Chef Bernd Lucke, der mehrfach deutlich auf Distanz zum rechten Rand gegangen ist.
Auf den hemdsärmeligen Oberstudienrat Björn Höcke passt das Etikett "Rechtspopulist", das der Partei von vielen verpasst wird, besser als auf den sehr bürgerlichen Volkswirtschaftsprofessor Lucke. Im Wahlkampf hat er sich als Mann hervorgetan, der gegen die "Phrasologie der Altparteien" wettert.
Mit den Themen "Zuwanderung" und "Innere Sicherheit" spricht die AfD im Osten auch viele Menschen an, die zuletzt die CDU gewählt hatten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat deshalb die Parole ausgegeben: Wir arbeiten nicht mit der AfD zusammen, kümmern uns aber um solche Themen, mit denen sie erfolgreich Wahlkampf gemacht haben.
Und die FDP verschwindet sang- und klanglos von der Bildfläche
Zwei Wahlen - und noch nicht mal fünf Prozent zusammen. Die wenigen Liberalen, die am Sonntag im Thomas-Dehler-Haus für die Fernsehkameras ihr enttäuschtes Gesicht hinhalten, sind Prügel gewohnt. Aber laut Hochrechnungen 2,4 Prozent in Thüringen, 1,4 Prozent in Brandenburg? Das tut richtig weh.
In Brandenburg begann ein grotesker Wahlkampf mit dem Slogan "Keine Sau braucht die FDP" und gipfelte in dem Plakat-Spruch "Bieber abschießen" - jetzt schossen die Wähler die Partei ab. Ein Jahr nach dem Rauswurf aus dem Bundestag scheint die FDP unaufhaltsam auf dem Weg zur Splitterpartei. Sie ist im Osten jetzt aus allen Landtagen verschwunden, bundesweit ist sie nur noch in 6 von 16 Parlamenten vertreten. Keinen einzigen Minister mehr hat sie im Politik-Schaufenster.
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Die Schock-Ergebnisse sind 15 Minuten alt, da kommt Christian Lindner auf die Bühne. Der Bundesvorsitzende beugt das Haupt vor den Niederlagen, den Kopf verliert er nicht: "Die Durststrecke für die Freien Demokraten ist noch nicht zu Ende." In Brandenburg und vor zwei Wochen in Sachsen hatten die Landesverbände auf Lindners Unterstützung gepfiffen - so befreit der Untergang den Vorsitzenden immerhin ein Stück weit von lästigen Kritikern.
Dann wählt Lindner, befreit von der Zwangsjacke der drei Ost-Wahlen, endlich Worte, auf die viele gewartet haben - nicht mehr dieses zögerliche Auf-Sicht-Fahren. Was sei das für eine politische Landschaft, wo sich die AfD, die in Thüringen und Brandenburg neue Triumphe feiert, als diffuse Protestpartei formiere? Union, SPD und Grüne wollten mehr Staat, alles auf Pump: "Wir wollen, dass es auch weiter eine andere politische Farbe gibt."
Lindner gibt sich weiter kämpferisch
Tapfer versucht Lindner, gegen den Eindruck anzureden, die FDP sei schon klinisch tot. Die Lage in den 90er-Jahren sei ähnlich dramatisch gewesen. "Damals wurde unterschätzt, wie viel Kraft in unserer Idee steckt, wenn wir sie konsequent vertreten", glaubt der 35-Jährige.
Die FDP kämpfe für bürgerliche Tugenden: "Deshalb haben wir den Mut weiterzumachen." Einer der letzten Strohhalme, an die sich Lindner klammert, ist Hamburg. Die traditionell liberal gesinnte hanseatische Bürgerschaft soll im Februar 2015 Gelb wählen und die Trendwende bringen. Aber auch dort läuft einiges schief. Die Hamburger FDP-Chefin trat aus, will eine neue Partei mitgründen. Wie lange hält Lindner in diesem Laden durch? Er lacht: "Wir sehen uns 2017 wieder." (dpa)