Düsseldorf. Auf einem Rechner eines Fraktions-Mitarbeiters der Piratenpartei wurde eine Spähsoftware entdeckt, mit der Passwörter und vertrauliche Daten abgefischt werden könnten. Die anderen Parteien fordern Aufklärung über den Vorgang. Doch Piraten-Fraktionschef Paul tauchte ab. Der Landtag schäumt.

Der Ältestenrat des Landtags ist normalerweise ein Ort gediegener Überparteilichkeit. Das nicht-öffentlich tagende Gremium aus Parlamentspräsidium und Fraktionsspitzen verständigt sich gemeinhin geräuschlos über Tagesordnungen und organisatorische Dinge. Am Mittwoch jedoch drangen Berichte über Wortgefechte, Wutausbrüche, kriminelle Machenschaften und Stillosigkeiten nach draußen.

Anlass für den Klimasturz im ranghöchsten Zirkel des Landtags ist die Piratenpartei. Vor zwei Jahren sind die Neulinge mit dem Slogan „Klarmachen zum Ändern“ auf die Abgeordnetenbänke gespült worden. Politisch ist der Zauber des Anfangs längst verflogen. Piraten-Fraktionschef Joachim Paul wähnt seine Partei inzwischen desillusioniert: „Halb so groß wie die FDP und doppelt so tot.“

Handfester Skandal

Überlagert werden die Verfallserscheinungen von einem handfesten Skandal. Durch eine automatische Virensoftware sind die IT-Experten des Landtags bereits am 17. Juli darüber informiert worden, dass auf einem Rechner der Piratenfraktion eine Spähsoftware in­stalliert wurde. Möglicherweise sollten mit dem Computer Passwörter und vertrauliche Daten abgefischt werden. Am 2. August erstattete der Landtag Anzeige gegen unbekannt. Das Landeskriminalamt ist eingeschaltet. Erste Erkenntnisse über den „ung eheuerlichen Vorgang“ erhoffen sich die Ermittler in vier bis fünf Wochen, heißt es in Düsseldorf.

Im Ältestenrat sollten die Piraten am Mittwoch darlegen, wie es zum Aufspielen der Spähsoftware kommen konnte – an allen technischen Sperren vorbei. Vor allem: Welcher Mitarbeiter der in der Internet-Szene verankerten Partei den manipulierten Rechner nutzte. Doch Fraktionschef Paul zog es vor, mit einer Enquetekommission nach Schweden zu reisen. Seine Vertreter konnten oder wollten wenig zur Aufklärung beitragen. Das Gremium um Parlamentspräsidentin Carina Gödecke (SPD) wirkte so konsterniert wie selten. Manchem riss der Geduldsfaden, es wurde zwischenzeitlich lauter.

Der Pirat Daniel Düngel musste seinen Posten im Präsidium des NRW Landtags nach einigen Affären räumen. Ob die Piraten wieder in das Gremium einziehen, ist nach dem jüngsten Spähskandal fraglich.
Der Pirat Daniel Düngel musste seinen Posten im Präsidium des NRW Landtags nach einigen Affären räumen. Ob die Piraten wieder in das Gremium einziehen, ist nach dem jüngsten Spähskandal fraglich. © dpa

Das Verhältnis zwischen Piratenpartei und den Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP ist derart belastet, dass es zum Bruch mit einem parlamentarischen Brauch in NRW kommen könnte. Die Piraten sind drauf und dran, als einzige Fraktion ihren Vize-Präsidentenposten im Landtagspräsidium zu verlieren. „Das Vertrauen ist so gestört, dass ein Kandidat der Piraten in freier und geheimer Wahl niemals eine Mehrheit bekommen würde“, sagte ein Präsidiumsmitglied. Bis zur Aufklärung könne er seinen Abgeordneten nicht empfehlen, einen Piraten in die Parlamentsspitze zu hieven, erklärte auch SPD-Fraktionschef Norbert Römer.

Düngel missachtete die Regeln

Der Präsidiumsposten ist vakant, seit sich der Oberhausener Pirat Daniel Düngel in diesem Amt unmöglich machte. Gegen den 38-Jährigen bestanden sechs Haftbefehle, weil der mit rund 13.000 Euro entlohnte Politiker eine Reihe von Rechnungen nicht bezahlt hatte. Erst als Düngel seine Schulden abstotterte, zog das Amtsgericht Oberhausen gestern einen Antrag auf Aufhebung seiner Abgeordneten-Immunität zurück.

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Von Tobias Blasius

Düngel hatte sein Repräsentationsamt zudem sehr eigenwillig ausgeübt. Er ätzte über das „kranke System“ Landtag, das ihm bis 2017 ein sehr auskömmliches Leben beschert. An einem Parlamentstag meldete er sich kurzfristig krank und nutzte stattdessen seine Dienstlimousine privat.

Als Nachfolgerin war die Piraten-Abgeordnete Monika Pieper vorgesehen, die als berechenbarer gilt, aber ebenfalls unter Rechtfertigungsdruck steht. Piepers Schwester arbeitet als Fotografin für die Fraktion, was für Piraten ein Geschmäckle haben sollte, aber offenbar nicht unter das Verbot der Verwandtenbeschäftigung in Abgeordnetenbüros fällt.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikel hieß es, die Spähsoftware sei auf dem Rechner eines Abgeordneten der Piraten gefunden worden. Das ist nicht der Fall. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen!