Berlin. . Die drastischen Worte von Joachim Gauck in Polen zum Jahrestag des Weltkriegsausbruchs stoßen auf Kritik. Die Linke spricht von einem “präsidialen Fehlgriff ersten Ranges“. Und aus der Koalition kommt pflichtschuldige Rückendeckung. Dabei sind Gaucks Vorbehalte gegen das russische Regime bekannt.

Aus seinen Vorbehalten gegen Wladimir Putin hat Bundespräsident Joachim Gauck nie einen Hehl gemacht. Doch mit seinem scharfen Angriff auf den russischen Präsidenten am Jahrestag des Weltkriegsausbruchs hat Gauck Anhänger und Kritiker überrascht. Linkspartei-Chef Bernd Riexinger warf Gauck am Dienstag vor, mit seinem „präsidialen Fehlgriff ersten Ranges“ den Ukraine-Konflikt zu verschärfen.

Koalitionspolitiker stellten sich eher pflichtschuldig hinter den Präsidenten – die designierte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini indes lobte ihn für seine klaren Worte: Gauck habe recht, von einer Partnerschaft mit Russland könne man derzeit nicht sprechen.

Auf der Westerplatte in Danzig hatte Gauck am Montag in einer Rede zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen beklagt, Russland gefährde den Frieden in Europa: Er warf Russland nicht nur vor, die Partnerschaft mit dem Westen de facto aufgekündigt zu haben – was endgültiger klingt als die Klage der Bundesregierung, die Partnerschaft liege auf Eis.

Auch interessant

Onkelbach, Christopher-kgNI--198x148@DERWESTEN.jpg
Von Christopher Onkelbach

Gauck drohte auch, der Westen werde sich Moskaus Völkerrechtsbruch in der Ukraine entgegenstellen. Nur Stunden zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag deutlich milder nur neue Wirtschaftssanktionen angekündigt.

Gaucks Vater saß in Sowjet-Haft

Gauck konterkariere alle Bemühungen um eine Deeskalation, schimpfte Linke-Chef Riexinger. Der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter wies diese Kritik zwar zurück. Doch er betonte auch: „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen und versuchen, militärische Lösungen herbeizuführen.“ SPD-Vize Ralf Stegner nannte Riexingers Vorwürfe überzogen – hinter die Präsidentenworte stellte er sich nicht. Offiziell hielten sich die Koalitionäre an die Devise, Präsidentenreden nicht zu kommentieren. Schließlich sei Gaucks Haltung ja nicht neu.

Auch interessant

Immer wieder hat Gauck, dessen Vater in sowjetischer Lagerhaft saß, Russland vor allem wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Er schlug eine Einladung zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi aus, die Pläne für einen Staatsbesuch in Moskau sind auf Eis gelegt. In diesem Jahr würdigt Gauck mit Reisen nach Osteuropa die Freiheitsbewegungen, die 1989 zum Ende des Kalten Krieges führten – deshalb schmerzt ihn das neue Bedrohungsgefühl in Osteuropa besonders.

Verwundert über Putin-Versteher

Dass ein Teil der Deutschen seine Position nicht teilt, weiß Gauck: Das verbreitete Verständnis für Putin wundere ihn, hat er kürzlich erklärt, offenbar fehlten Informationen über das wirkliche Leben in Russland. Und mancher fürchte wohl auch, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, der eskalieren könnte, glaubt der Präsident.

Dass sich die Bundesregierung im Ukrainekonflikt früh diplomatisch eingeschaltet hat, lobt Gauck aber ausdrücklich – auch Merkels Ansatz, den Gesprächsfaden zu Putin nicht abreißen zu lassen. Das ist wohl die Arbeitsteilung: Während der Präsident zu drastischen Worten greift, ist die Regierung in der praktischen Politik bemüht, jede kleine Chance zur Deeskalation zu nutzen und Brücken zu bauen.

Mahnung zu leiseren Tönen

Unmittelbar vor dem Nato-Gipfel warnten Koalitionspolitiker am Dienstag vor einem Konfrontationskurs der Nato: „Wir müssen alles dafür tun, weiter zu deeskalieren“, mahnte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen in Osteuropa will Berlin verhindern.

Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte vor einer überzogenen Reaktion der Nato. Doch Moskau ist schon weiter: Der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Michail Popow, kündigte eine russische Antwort auf eine stärkere Nato-Präsenz in Osteuropa an. Die Ausweitung der Nato-Aktivitäten werde als „äußere militärische Bedrohung“ eingestuft.