Essen. . Vor 75 Jahren begann mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg. Adolf Hitler ließ die Aktion minutiös planen – hätte aber am liebsten schon früher zugeschlagen. Der sogenannte „Führer“ zwang die Welt mit Grausamkeit und Fehleinschätzungen in die Katastrophe.

War der 1. Weltkrieg die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, so entfacht der 2. Weltkrieg vollends einen Weltenbrand. Als Adolf Hitler am Montag vor 75 Jahren, am 1. September 1939, den Überfall auf Polen befiehlt, setzt er einen unheilvollen Mechanismus in Gang, an dessen Ende knapp sechs Jahre später 60 Millionen Tote stehen werden. Weite Teile Europas liegen in Schutt und Asche. Millionen Menschen sind auf der Flucht, werden aus der Heimat vertrieben. Es ist das „grausamste und verheerendste Gemetzel seit Menschengedenken“, wie der britische Historiker Antony Bee­vor schreibt.

Für Beevor steht fest, dass Hitler „der Architekt“ dieses umfassenden Krieges ist, der zwischen Stalingrad und Coventry, Pearl Harbour und El Alamein, Auschwitz und Dachau tobt und überall Tod und Zerstörung hinterlässt. Der Nazi-Diktator ist getrieben von Größenwahn, dem Traum von der Vorherrschaft Deutschlands und der Suche nach „Lebensraum im Osten“ für die „arische Rasse“. Doch Beevor beschreibt in seinem lesenswerten neuen Buch („Der Zweite Weltkrieg“, Bertelsmann Verlag, 40€) auch, dass der Überfall auf Polen letztlich zwar minutiös vorbereitet ist – doch der Weg in den Weltkrieg führt auch über eine Kette von Fehleinschätzungen, Unwägbarkeiten und Missdeutungen, die ihre eigene Dynamik entwickeln.

Die Ausgangslage

„Ich bin jetzt 50, ich will den Krieg lieber jetzt haben, als wenn ich 55 oder 60 bin“, gesteht Adolf Hitler Anfang 1939 dem rumänischen Außenminister Grigore Gafencu. Schon 1938 will Hitler „seinen Krieg“. Doch im Münchner Abkommen gestatten ihm London und Paris, das nach dem Ersten Weltkrieg der Tschechoslowakei zugeschlagene Sudetenland seinem Herrschaftsbereich einzuverleiben.

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Später wird Hitler sich beklagen, er sei am Zuschlagen gehindert worden, „da die Engländer und Franzosen in München alle meine Forderungen akzeptierten“. Polen, England, Frankreich stehen nun auf der Liste seiner Angriffsziele. Aber, so Bee­vor, „als bittere Lehre aus dem Ersten Weltkrieg hoffte er die Konflikte einzeln austragen zu können, um niemals an mehr als einer Front kämpfen zu müssen.“ Eine Hoffnung, die sich auf dramatische Weise nicht erfüllen wird.

"Deine Hilfe wird dringend gebraucht" - Rekrutierungsplakat der Alliierten © Imago

Die Kontrahenten

Frankreich und England, die Hauptsieger des Ersten Weltkriegs, sind nach über 20 Jahren noch immer von den Schlachten erschöpft und kriegsmüde. Vor allem die Briten glauben, Hitler durch Zugeständnisse beschwichtigen zu können – eine ebenso dramatische Fehlkalkulation wie das Kalkül Polens, durch Beistandsgarantien der Regierungen in London und Paris vor Hitlers Aggression geschützt zu sein. Und Amerika, so Historiker Beevor, „suchte möglichst großen Abstand zu der in seinen Augen korrupten, sündhaften Alten Welt zu gewinnen“ – gut zwei Jahre später werden die USA in den Krieg hineingezogen.

Der Teufelspakt

Im August 1939 arrangiert sich Hitler-Deutschland mit dem „bolschewistischen“ Erzfeind und schließt mit Stalins Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Hitler will, siehe oben, einen Zweifrontenkrieg vermeiden. Vor allem die geheimen Zusatzprotokolle des „Teufelspaktes“, die erst Jahrzehnte später bekannt werden, haben es in sich: Hitler und Stalin teilen Polen und weite Teile Osteuropas unter sich auf. Doch Hitler verkalkuliert sich: Der den Sowjets zugestandene Geländegewinn wird Moskau zwei Jahre später beim Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion einen wichtigen strategischen Vorteil bringen.

Hitlers Fehleinschätzung

Hitler ist für Forscher Beevor ein politischer „Autodidakt“, der „wenig von der Weltgeschichte verstand“. Eine Interpretation, die sich im Spätsommer 1940 einmal mehr bewahrheitet. Polen und auch Frankreich sind besiegt. Um die USA vom Eintritt in den Krieg abzuschrecken, schließt der „Führer“ einen Dreimächtepakt mit Italien und Japan. Die Staaten verpflichten sich zu gegenseitigem militärischen Beistand gegenüber Amerika. Hitler versucht, auch die Sowjetunion einzubinden – vergebens. Damit ist Hitlers Versuch, durch politisch-strategische Winkelzüge und Vereinbarungen mit anderen Staaten einen autarken Großraum in Europa unter deutscher Hegemonie zu schaffen, gescheitert. Wenig später entscheidet sich Hitler für einen Überfall auf Russland.

Es ist der Anfang vom Ende dessen, was am 1. September 1939 in Polen seinen Lauf nahm.