Berlin. Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel will Waffen-Lieferungen in Drittstaaten im Zweifel ablehnen. Die Rüstungsindustrie tut alles, um diesen Kurs zu korrigieren. Auch wütende Betriebsräte und der Hinweis auf gefährdete Jobs können ihn nicht umstimmen - sehr zum Ärger von Unionspolitikern.
Sigmar Gabriel kann sehr jovial sein. Und wie ein Bulldozer Einwände wegräumen. Gestern war der Wirtschaftsminister beides. Der Sozialdemokrat empfing Betriebsräte aus Rüstungsbetrieben, trat mit ihnen kameradschaftlich vor die Kameras, gab ihnen sogar den Vortritt. Aber in der Sache blieb er knallhart. Gabriel hält an der restriktiven Exportpolitik fest. Das hat mit der Debatte über die mögliche Waffenlieferung an Kurden im Irak nichts zu tun. Gabriel ist direkt zuständig, wenn die Industrie eine Ausfuhrgenehmigung beantragt. Ausrüstungshilfen der Militärs sind ein anderes Thema.
Der Streit um die Exportpolitik war absehbar. Zwar ist Deutschland zum drittgrößten Waffenexporteur nach den USA und Russland aufgestiegen. Aber die Statistik hinkt der Politik hinterher. Die SPD brachte in den Koalitionsverhandlungen die Union dazu, die Richtlinien der letzten rot-grünen Regierung aus dem Jahr 2000 beizubehalten. Danach sollen Kriegswaffen nur in Ausnahmefällen an Staaten außerhalb der Nato oder der EU exportiert werden. Es war ein folgenreiches Zugeständnis. Die ersten Einzelfallentscheidungen zeigten der Industrie, dass der Minister die Linie durchzieht.
Entschieden wird in einem ebenso kleinen wie vertraulichen Kreis: Im Bundessicherheitsrat. Dort gilt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als aufgeschlossen, Gabriel und die SPD aber als zurückhaltend, zumal bei Interessenten von der arabischen Halbinsel und wenn es um Panzer oder Kleinwaffen geht, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können. Der CDU-Politiker Joachim Pfeiffer beklagt, selbst Verbündete wie Japan und Australien seien bei Anfragen auf einmal suspekt. So werde Deutschlands Verlässlichkeit infrage gestellt. CSU-Chef Horst Seehofer mahnte schon im Juli, ohne Konzeption und klaren Kompass drohe „ein faktischer Exportstopp“.
"Wir sind nicht allein auf der Welt", sagte ein Betriebsrat aus Kiel
Die Hersteller sind beunruhigt und setzen alles und alle in Bewegung - auch Betriebsräte. Zwei Argumente fallen immer wieder. Erstens, wenn Deutschland nicht liefere, dann tun es andere. „Wir sind nicht allein auf der Welt“, sagte ein Betriebsrat aus Kiel. Für den Minister ist es kein „wirkliches Argument“. Er fände es „ein bisschen schräg“, Waffen zu exportieren, weil andere es erlauben: Franzosen, Briten, Amerikaner. Zweitens gingen Jobs verloren. „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, antwortet Gabriel. Die Branche steht unter Druck. Zum einen spürt sie den politischen Windwechsel.
Auch interessant
Zum anderen laufen von 2015 bis 2020 nahezu alle Projekte der Bundeswehr aus. Existentiell gefährdet sind weniger laufende Beschaffungen wie die Hubschrauber NH 90 und „Tiger“, sondern vielmehr die Folgeaufträge. Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) hat alle Beschaffungen nach diversen Rüstungsskandalen einer Prüfung unterzogen. Auch Köpfe sind gerollt. Gleichzeitig geht die Angst um, dass an Aufkäufen, Wartung, Forschung und Entwicklung gespart werde. Und das, obwohl die Konkurrenz größer geworden ist. Staaten wie Indien und die Türkei forcieren ihre Rüstungsschmieden; sie betrachten es als Industriepolitik.
CDU ist irritiert: "Es tut jetzt schon weh"
Aus der Sicht der CDU/CSU handelt Gabriel „nicht kompatibel“ mit dem Koalitionsvertrag, sondern zu streng, wie ihr Wehrexperte Henning Otte unserer Zeitung erklärte. Er wies darauf hin, dass viele Hersteller ihre Produktion nicht auslasten können. Seine Sorge ist, dass Know-how, Kompetenzen verloren gehen, dass Ingenieure abwandern, aus Arbeitnehmersicht: gut bezahlte Jobs. „Wir brauchen auch nach 2020 eine deutsche Rüstungsindustrie“, so Otte. Was man abbaue, „baut man nicht wieder auf.“ Und: Je weniger Anbieter, desto weniger Wettbewerb.
Nach nicht mal einem Jahr Große Koalition spürt er die Gabriel-Delle: „Es tut schon jetzt weh.“ Der CDU-Mann hat verfolgt, wie die Firma Krauss-Maffei eine Kooperation in Frankreich anpeilt; auch um leichter exportieren zu können, weil die Auflagen im Nachbarland niedriger sind. Otte ahnt, was die Folge sein könnte: Produktion, Forschung und Entwicklung würden dorthin verlagert.