Düsseldorf. . NRW-Ministerpräsidentin Kraft (SPD) ist aus dem Sommerurlaub zurück. Jetzt geht es wieder um Beamtenbesoldung, Neuverschuldung und Soziales - im großen Sommerinterview erklärt sei, wie sie nach der jüngsten Niederlage vor dem NRW-Verfassungsgericht bei den Personalkosten die Kosten drücken will.

Die Sommerpause ist für Hannelore Kraft vorbei, die Probleme haben sich nicht verflüchtigt. Der Konflikt um die Beamtenbesoldung schwelt weiter – für die rot- grüne Koalition eine brisante Auf­gabe, die sie lösen muss. Trotz der jüngsten Niederlage vor dem NRW-Verfassungsgericht will die NRW-Ministerpräsidentin beim Personal sparen. Kraft argumentierte: Zwar habe das Gericht das Gesetz zur Beamtenbesoldung verworfen. Es habe aber ausdrücklich zugelassen, dass das Land „eine soziale Staffelung bei der Besoldung einbaut“.

Darüber hinaus müsse die Tariferhöhung für Angestellte nicht in vollem Umfang auf die Beamten übertragen werden, so Kraft. „Das Urteil schreibt keine 1:1-Umsetzung vor“, betonte die SPD-Regierungschefin in ihrem ersten Interview nach dem Sommerurlaub. Auf dieser Basis werde sie die anstehenden Gespräche mit den Gewerkschaften führen.

Kraft stellte sich damit gegen Forderungen des Beamtenbunds, den Staatsdienern in NRW für 2013 und 2014 pauschal insgesamt 5,6 Prozent mehr Gehalt zu zahlen. Auch die Vorsitzenden mehrerer Einzelgewerkschaften wie GdP-Landeschef Arnold Plickert, hatten direkt nach der Entscheidung des Gerichts darauf gedrängt, den Tarifabschluss für alle Beamten voll zu übernehmen. Dies würde das Land zusätzlich 1,3 Milliarden Euro kosten.

Darüber und über andere Themen sprach die Ministerpräsidentin nach der Rückkehr aus dem Urlaub mit Andreas Tyrock und Theo Schumacher.

Frau Ministerpräsidentin, Sie wirken erholt. Wo haben Sie die Sommer­ferien verbracht?

Hannelore Kraft: Ja, der Akku ist wieder auf­geladen. Zuerst haben wir im Sauerland Sporturlaub gemacht, wie ­jeden Sommer, und ich habe auch das Sportabzeichen geschafft. ­Anschließend haben wir ein Boot gemietet und waren eine Woche lang mit Freunden auf Seen und Flüssen in Brandenburg unterwegs. Eine wundervolle Landschaft.

Daheim gab es in der Zwischenzeit hässliche Szenen, anti-jüdische Hetze und Anschläge gegen Synagogen. Was sagen Sie den Menschen, die hier leben und sich Sorgen machen?

Kraft: Dass wir alles tun, um die Sicherheit der jüdischen Mitbürger zu gewährleisten. Für judenfeindliche Hetze gibt es in Nordrhein-Westfalen ­keinen Platz. Wo sie dennoch zu hören ist, zum Beispiel bei Demonstrationen, gehen wir dagegen vor.

Jüdische Gemeinden fühlten sich allein gelassen

Es gibt Repräsentanten der ­jüdischen Gemeinden, die klagen, Sie würden allein gelassen. Nehmen Sie das auch so wahr?

Kraft: Nein. Nach meinem Eindruck gab es in den letzten Wochen eine große Solidarität in unserem Land. Wir tun, was wir können. Antisemi­tische Hass-Attacken werden wir hier nicht dulden.

Nach den Ferien holt Sie der Konflikt um die Beamtenbesoldung ein. Die doppelte Nullrunde wurde vom Gericht gekippt. Was machen Sie jetzt?

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Kraft: Den Ländern wurde im Zuge der Föderalismusreform die Kompetenz übertragen, die Beamtenbesoldung selbst zu regeln. Das haben sie getan, auf unterschiedliche Weise. Aber alle Landesregierungen, die den Tarifabschluss von 5,6 Prozent nicht sofort 1:1 für ihre Beamten umgesetzt haben, wurden beklagt. Jetzt liegt bei uns in NRW das erste Urteil vor. Das Gericht hat zwar unser Gesetz verworfen, lässt aber ausdrücklich zu, dass man bei der Besoldung eine soziale Staffelung einbaut. Und: Das Urteil schreibt keine 1:1-Umsetzung vor. Das ist die Basis, auf der wir mit den Gewerkschaften reden.

Gespräche mit den Beamten laufen

Gibt es erste Ergebnisse?

Kraft: So weit sind wir noch nicht. Das ­Klima bei unserem ersten Gespräch war konstruktiv. Mehr lässt sich noch nicht sagen.

Bisher hört es sich nicht so an, als würden Gewerkschaften von ihrer Forderung abrücken, den Abschluss vollständig umzusetzen. Damit wären Einsparungen von 1,3 Milliarden Euro im Haushalt hinfällig. Wo bleibt Spielraum für Kompromisse?

Kraft: Das Urteil und insbesondere die ­Begründung zeigen Spielräume auf.

Walter-Borjans muss sparen

Ihr Finanzminister muss als Konsequenz aus dem Urteil die Neu­verschuldung für 2014 erhöhen, die bereits 2,4 Milliarden Euro beträgt. Dickster Brocken im Haushalt sind die Personalkosten. Wie lange ­können Bereiche wie Schule, Hochschule, Polizei oder Justiz beim ­Sparen noch tabu sein?

Kraft: So argumentiert auch die Oppo­sition. Gleichzeitig fordert sie aber immer mehr: mehr Lehrer, mehr Professoren, mehr Erzieherinnen. Wie das bezahlt werden soll, sagt sie leider nicht. Der Staat muss leistungsfähig bleiben. Wir wollten mit unserem Besoldungsmodell deshalb erreichen, dass Beschäftigung gesichert wird, aber auch die Dienstleistung für die Bevölkerung erhalten bleibt. Diesen Weg hat das Gericht durchkreuzt. Deshalb müssen wir mit den Gewerkschaften ­darüber reden, an welchen Stellen wir stattdessen sparen können.

Ein anderes Problem, wenn auch nicht für Ihre Koalition, ist die Autofahrer-Maut. Kommt sie?

Kraft: Naja, ich bin skeptisch. Unverändert gelten die Bedingungen, die im Koalitionsvertrag festgelegt sind: erstens dürfen deutsche Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden, zweitens muss die Maut konform mit EU-Recht sein. Und drittens muss natürlich der bürokratische Aufwand deutlich unter dem Ertrag liegen. Herr Dobrindt hat bisher nur Eckpunkte und noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt, aber es gibt schon erhebliche Bedenken von ­Juristen. Ich verhehle nicht, dass auch ich keine glühende Verfech­terin der Maut bin. Klar ist aber, dass Länder und Kommunen an den ­Einnahmen beteiligt werden müssen, wenn die Maut auch außerhalb von Bundesstraßen erhoben wird.

Verständnis für die Benelux-Länder

Widerstand gibt es von den ­Benelux-Nachbarn.

Kraft: Das kann ich nachvollziehen. Ich frage mich auch, ob es in einem Europa ohne Grenzen sinnvoll ist, niederländischen Autofahrern eine Maut abzuverlangen, die übers ­Wochenende ins Sauerland fahren wollen. Dann zahlen wir Nordrhein-Westfalen demnächst auch, wenn wir zum Einkaufen nach ­Venlo fahren.

Die Prävention war von Anfang an Ihr politischer Leitfaden, dafür ­wurden seit 2010 Milliarden Euro ausge­geben. Sehen Sie schon Fortschritte?

Kraft: Ja, wir haben vor allem massiv in die Bildung investiert. Allein rund eine Milliarde Euro mehr für den U3-Ausbau seit 2010. Der Ausbau einer vorbeugenden Politik im Projekt „Kein Kind zurücklassen“ kostet dagegen gar nicht viel, bringt aber schon erste gute Erfolge.

Beispiele für vorbeugende Politik

Wo?

Kraft: Wir werden Ende August eine ­Zwischenbilanz mit den 18 Modell-Kommunen ziehen, die bei dem Projekt mitmachen. In Hamm etwa meldet der CDU-Oberbürgermeister Einsparungen von über 100 000 Euro durch vorbeugende Politik, die wiederum in eine bessere Betreuung von Familien mit Neugeborenen investiert werden. Dort etablieren sich neue Förderstrukturen.

Weitere Beispiele?

Kraft: In Moosfelde, einem Stadtteil von Arnsberg mit schwierigen Struk­turen, muss seit fünf Jahren kein Kind unter 14 Jahren mehr in Obhut genommen werden. Die Zahl der Grundschüler, die aufs Gymnasium wechseln, hat sich verdoppelt. Die Übergangsquote zur Hauptschule ist gleichzeitig um 73 Prozent gesunken. In Moosfelde liegt der Kostenanteil für die Jugendhilfe heute unter dem städtischen Gesamtdurchschnitt. Auch Bielefeld, das ebenfalls Modell-Kommune ist, spart über eine halbe Million Euro bei der stationären Hilfe von ­Kindern und Jugendlichen ein.

Es dauert, bis die Familien profitieren

Wieso glauben Sie Ihr Verständnis von Politik am besten in NRW ­umsetzen zu können?

Kraft: Weil ich hier am besten zeigen kann, dass vorbeugende Politik wirkt und man damit langfristig Kosten vermeidet. Natürlich geht nicht alles von heute auf morgen. Erst müssen sich Hilfsstrukturen verändern, ­bevor Familien und Kinder davon profitieren. Das werden wir mit den Kommunen landesweit umsetzen.