Donezk/Rio de Janeiro. Die Situation in der Ostukraine verschlechtert sich weiter, bei Luftangriffen kamen dutzende Menschen ums Leben. Nach Moskauer Behördenangaben kam es erstmals zu einem Todesopfer auf russischer Seite. Vize-Außenminister Karassin kritisierte die erneute Grenzverletzung und kündigte eine Antwort an.

Bei Luftschlägen und schwerem Artilleriebeschuss durch das ukrainische Militär kommen im Konfliktgebiet Donezk und Lugansk immer mehr Menschen zu Tode. Erstmals starb nach Moskauer Behördenangaben am Sonntag auch ein Mann auf russischem Gebiet durch ein Geschoss von ukrainischer Seite. Das russische Außenministerium protestierte gegen die Verletzung seines Territoriums und drohte der Regierung in Kiew mit einer scharfen Reaktion. Das ukrainische Militär wies eine Schuld zurück.

Kremlchef Wladimir Putin hat bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel kurz vor dem Endspiel der Fußball-WM in Rio de Janeiro eine "deutliche Verschlechterung" der Lage im Ukraine-Konflikt beklagt. Die beiden Politiker waren sich einig, dass möglichst bald direkte Gespräche zwischen der Regierung in Kiew und den Separatisten in Form einer Videokonferenz aufgenommen werden sollen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert und Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntag übereinstimmend mitteilten.

Seibert erklärte, ferner seien eine wirkungsvolle Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze sowie ein Austausch von Gefangenen wichtige Voraussetzungen für das Ziel einer baldigen beiderseitigen Waffenruhe. Putin kritisierte laut Peskow zudem den Beschuss des russischen Staatsgebiets von ukrainischer Seite als unannehmbar kritisiert. Dabei war am Sonntag im Gebiet Rostow Behörden zufolge ein Mann getötet worden.

Bis zu 1000 Aufständische getötet?

Die ukrainische Luftwaffe sowie Panzerkolonnen setzten ihre Offensive gegen Separatistenstellungen in Lugansk und Donezk fort. Die offiziellen Militärangaben aus Kiew schwankten stark - zwischen Dutzenden und bis zu 1000 getöteten Aufständischen. Die Zahl der getöteten Soldaten wurde mit sieben angegeben. Behörden in Donezk und Lugansk sprachen außerdem von zahlreichen getöteten Zivilisten. Unabhängige Zahlen gab es nicht.

Es sei viel Kampftechnik der "Terroristen" zerstört worden, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Allein bei zwei der insgesamt fünf gezielten Luftschläge seien bis zu 40 Separatisten getötet worden, hieß es am Sonntag. Für die übrigen Angriffe nannte das Ministerium zunächst keine Opferzahlen.

Der Sprecher der von Kiew geführten "Anti-T error-Operation", Wladislaw Selesnjow, hatte am Samstag behauptet, bei den Luftschlägen in den Regionen Donezk und Lugansk seien rund 1000 Separatisten getötet worden, davon allein 500 in Dserschinsk nahe Donezk. Auch andere Militärsprecher wiederholten die Zahl. Die Separatisten wiesen dies als falsch zurück.

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Russland kündigt "Antwort" an

Russland protestierte am Wochenende mehrfach gegen den Beschuss seines Staatsgebiets. Ein 45 Jahre alter Mann sei beim Einschlag eines Munitionskörpers am Sonntag in seinem Haus im Gebiet Rostow getötet worden, teilte der Sprecher der Nationalen Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, mit. Zudem sei eine Frau in dem Haus durch die Druckwelle des Geschosses verletzt worden.

Moskaus Vize-Außenminister Grigori Karassin kritisierte im Staatsfernsehen Rossija 24 die neuerliche Grenzverletzung und kündigte eine Antwort an. Die eskalierende Gewalt sei eine "Gefahr für unsere Bürger nun auch auf unserem Territorium. Es ist klar, dass das natürlich nicht ohne Reaktion bleiben wird", sagte Karassin. Der Vorfall zeige, dass dringend eine neue Waffenruhe sowie die Rückkehr zum Verhandlungstisch nötig seien.

Das russische Außenamt überreichte dem Geschäftsführer der ukrainischen Botschaft in Moskau eine Protestnote gegen den "Akt der Aggression". Diese "äußerst gefährliche Eskalation der Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenze" könne "unumkehrbare Folgen" haben, für die Kiew die Verantwortung trage. Russland hatte damit gedroht, zum Schutz seiner Bürger notfalls sein Militär in der Ukraine einmarschieren zu lassen.

Westen fordert Putin auf, auf Separatisten einzuwirken

Zentrum des Blutvergießens ist weiter Donezk mit seinen Vororten. Die Stadtverwaltung teilte mit, bei Gefechten am Samstag seien in zwei Stadtteilen zwölf Menschen getötet und mehrere verletzt worden. Für den Ortsteil Marjinka wurde die Zahl mit sechs getöteten Zivilisten angegeben, nachdem Separatisten zuvor von 30 Toten gesprochen hatten. Auch in der Großstadt Lugansk seien mindestens sechs Menschen getötet worden, berichteten Medien.

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Über die zunehmende Eskalation des Konflikts wollten am Abend Merkel und Putin im brasilianischen Rio de Janeiro sprechen. Der Westen fordert von Putin eine stärkere Einflussnahme auf die prorussischen Separatisten, damit diese die Waffen niederlegen und sich an Friedensverhandlungen beteiligen. Friedensbemühungen - auch unter Vermittlung Deutschlands - hatten bisher zu keinem greifbaren Ergebnis geführt.

Die Kämpfe in der Ostukraine dauern seit Mitte April an. Die ukrainische Führung will mit dem militärischen Vorgehen verhindern, dass sich die nicht anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk komplett von der Ukraine abspalten. Die russisch geprägte Region Donbass erkennt die proeuropäische Führung in Kiew nicht an.

"Humanitäre Katastrophe" in russischem Grenzgebiet zu Ost-Ukraine

Russische Behörden berichteten von einer "humanitären Katastrophe" auf ihrem Staatsgebiet. Mehr als 22.000 Flüchtlinge hielten sich demnach am Sonntag in den insgesamt 321 eingerichteten Übergangslagern auf, wie das Zivilschutzministerium mitteilte. Die Gesamtzahl der aus der Ostukraine Übergesiedelten liegt nach Angaben der russischen Migrationsbehörde bei rund einer halben Million Menschen. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht.

Auch die ukrainischen Behörden berichten von einer zunehmenden Zahl an Binnenflüchtlingen. Zehntausende suchten sich innerhalb der Ukraine eine neue Bleibe. Die aus dem Kriegsgebiet geflüchteten Menschen kommen bisher mehrheitlich bei ihren Verwandten, Bekannten und bei Freiwilligen unter. (dpa)