Tel Aviv/Genf. Immer mehr Palästinenser sterben bei den israelischen Luftangriffen: Bis Freitagabend sollen mehr als 100 Menschen getötet worden sein, weitere 680 wurden verletzt. Trotz Kritik wegen der zivilen Opfer zieht Israel Bodentruppen an der Grenze zum Gazastreifen zusammen. Die USA bieten Vermittlung an.
Massive israelische Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen haben bis Freitagabend mehr als 100 Menschenleben gefordert, unter ihnen viele Zivilisten. Weitere 680 Menschen wurden nach palästinensischen Angaben verletzt. Am vierten Tag der israelischen Offensive weiteten auch militante Palästinensergruppen im Gazastreifen ihre Raketenangriffe auf Israel aus und nahmen dabei den internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv ins Visier. Israel zog an der Grenze massive Bodentruppen zusammen.
Israels Sicherheitskabinett erwägt weiter eine Bodeninvasion, um den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen zu unterbinden. Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay rief Israel wie auch Palästinenser auf, die Rechte der Zivilbevölkerung zu respektieren. Sie kritisierte sowohl das israelische Vorgehen als auch die Raketenangriffe militanter Palästinenser. Berichte über die Bombardierung von Wohnhäusern im Gazastreifen gäben Anlass zur Sorge, dass Israel die Menschenrechte verletze, sagte Pillay in Genf.
USA signalisieren Israel Rückendeckung
US-Präsident Barack Obama bot dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine Vermittlung an. Zugleich signalisierte Washington Israel Rückendeckung im Fall einer Bodenoffensive in dem von der radikal-islamischen Hamas beherrschten Gazastreifen.
Die israelische Luftwaffe fliegt seit Dienstag massive Einsätze gegen Ziele im Gazastreifen, um den Raketenbeschuss durch militante Palästinenser zu unterbinden. Auslöser der schwersten Krise seit 2012 waren der gewaltsame Tod dreier jüdischer Jugendlicher und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen. Darüber hinaus will die im Gazastreifen herrschende radikal-islamische Hamas-Organisation Israel und Ägypten zwingen, die Abriegelung des Gebietes zu lockern.
Israelische Luftwaffe beschoss rund 1100 Ziele im Gazastreifen
Binnen drei Tagen beschoss die Luftwaffe nach israelischen Angaben 1100 Ziele im Gazastreifen. Mehr als 800 Tonnen Raketen und Bomben schlugen nach Armeeangaben in dem kleinen Palästinensergebiet am Mittelmeer ein. Militante Palästinenser hätten 550 Raketen auf Israel abgefeuert, sagte der israelische Armeesprecher Peter Lerner. Die Raketenabwehr habe etwa 120 weitere Geschosse in der Luft abgefangen.
Das israelische Sicherheitskabinett beschloss am Donnerstagabend, die Luftangriffe auf den Gazastreifen weiter auszudehnen. Außerdem wurden drei Infanteriebrigaden an die Grenze verlegt - für eine mögliche Bodenoffensive. Ein oder zwei weitere Brigaden sollten in den kommenden Tagen zur Verstärkung anrücken, sagte Armeesprecher Lerner. Insgesamt wurden 33.000 israelische Reservisten mobilisiert.
Militante Palästinenser Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv
Im Gegenzug beschossen militante Palästinenser erstmals den internationalen Flughafen Ben Gurion. Drei Raketen seien über dem Großraum von Tel Aviv abgefangen worden, teilte die Armee am Freitag mit. Die israelische Nachrichtenseite "ynet" berichtete, der Flugverkehr sei während des Raketenalarms gestoppt worden.
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Die Menschenrechtsorganisation "Betselem" kritisierte Israel wegen der gezielten Bombardierung der Wohnhäuser militanter Palästinenser. Die Angriffe stellten "einen schweren Bruch des Völkerrechts" dar. Um zivile Opfer zu vermeiden, kündigt die israelische Armee ihre Angriffe gewöhnlich telefonisch an. Anschließend setze das Militär einen "Warnschuss" ab, indem es eine Mini-Rakete ohne Sprengkopf auf das Dach abschieße, berichtete "Betselem". Die Bewohner könnten sich in Sicherheit bringen. Danach werde das markierte Haus bombardiert.
300.000 Palästinenser zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert
Nach Angaben der UN-Hilfsorganisation für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) wurden schätzungsweise 300.000 der 1,8 Millionen Bewohner des Gazastreifens zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert. Diese Taktik habe die israelische Armee bereits im Gaza-Krieg 2012 angewandt, schrieb der UNRWA-Sprecher Chris Gunness im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Allerdings würden viele Zivilisten dieser Aufforderung diesmal keine Folge leisten.
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In den Krankenhäusern würden viele Trauma-Patienten behandelt, berichtete der UNRWA-Sprecher weiter. Die Vorräte an medizinischen Versorgungsgütern seien ernstlich erschöpft. 510 Palästinenser seien über den am Freitag nach eintägiger Öffnung wieder geschlossenen Grenzübergang Rafah nach Ägypten gebracht worden, teilte UNRWA mit. Abgesehen von den Übergängen nach Israel ist Rafah für Palästinenser die einzige Möglichkeit, den Gazastreifen zu verlassen.
Ägypten bemüht sich um Waffenruhe
Derweil bemüht sich Ägypten um eine Waffenruhe. Das Außenministerium in Kairo sprach am Freitag von "intensiven Gesprächen", um die Gewalt in Nahost zu beenden. Die ägyptische Regierung warf Israel eine "unverantwortliche Eskalation" vor, kritisierte indirekt aber auch die radikal-islamische Hamas. Bisherige Vermittlungsbemühungen seien aufgrund von "Sturheit" gescheitert.
Erstmals seit Beginn des Schlagabtausches wurden auch aus dem Libanon Raketen auf Israel abgefeuert. Ein Geschoss sei in der Nähe der Grenzstadt Metullah gefunden worden, sagte Israels Armeesprecher Lerner. Israelische Artillerie habe in den Libanon zurückgeschossen. (dpa)