Berlin. . Die bislang sehr restriktive Haltung der Linkspartei zu deutschen Militäreinsätzen gilt als eines der Haupthindernisse für ein Bündnis mit SPD und Grünen – Vizefraktionschef Dietmar Bartsch sagt jetzt, dass im Fall einer Regierungsbeteiligung bestehende Verträge respektiert und über Einsätze im Einzelfall entschieden würde.

Den Spott kann sich Dietmar Bartsch nicht verkneifen. Der Vize-Chef der Linksfraktion ist erstaunt darüber, wie wohl sich die SPD als Juniorpartner der Union fühle. Die verschmähte Alternative wäre ein Bündnis mit der Linkspartei. Mit Bartsch sprachen wir darüber, ob seine Partei regierungsfähig ist. Der kritische Punkt: Die Militärpolitik.

Herr Bartsch, in der Linkspartei in NRW setzen sich radikale Kräfte durch. Pragmatisch orientierte Leute werden in Bochum oder Essen aus der Partei rausgedrängt. Nehmen Sie das überhaupt wahr hier in Berlin?

Dietmar Bartsch: Was mich freut: In Köln und Bonn zum Beispiel haben wir bei den Kommunalwahlen mit Kandidaten deutlich zugelegt, die für einen realpolitischen Kurs stehen und vor Ort verankert sind, in der Friedensbewegung bis zum Sportverein. Diese Verankerung ist für mich der Schlüssel des Erfolges. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man zwar rein in der Lehre, aber klein im gesellschaftlichen Einfluss ist. Wir haben verstanden, dass Bürgernähe das Geheimnis der Linken im Osten ist.

Aber im Westen ist es anders. Kriegen Sie die Linke in Ost und West unter ein Dach?

Bartsch: Man kann nicht in jedem Bundesland, in jeder Kommune mit denselben Schwerpunkten antreten. Aber die gesamte Partei hat ein Programm und muss sich hinter gemeinsamen Forderungen versammeln, erkennbar sein. Das ist uns zum Beispiel beim Mindestlohn, bei der Abschaffung der Praxisgebühr oder beim Nein zu Militäreinsätzen gelungen.

Die Aufstellung der Linken ist für die SPD und die Frage wichtig, ob es vertretbar wäre, als SPD in Thüringen einen Ministerpräsidenten der Linken zu wählen. Glauben Sie, dass es dazu kommt nach der Wahl im September?

Bartsch bei der WM

In die Kabine durfte er nicht. "Das war Kanzlerprivileg", erzählt Dietmar Bartsch, der Angela Merkel zum ersten WM-Spiel begleitete. "Sehr interessant" seien die Gespräche mit der Protestbewegung gewesen. Die hätte sich gefreut, mit deutschen Parlamentariern zu reden. Schon deswegen sei es richtig gewesen, als Opposition dabei zu sein. Bei aller Politik: Das erste Spiel der DFB-Elf in Brasilien war auch für Bartsch "ein Höhepunkt". Mit wem er am liebsten ein "Selfie" gemacht hätte? "Mit Toni Kroos", antwortet der Vizechef der Linksfraktion, "schon, weil er aus dem Norden kommt", sagt der Vorpommer, "und er war der beste Mann auf dem Platz".

Bartsch: Es gibt zumindest eine realistische Chance. Dass wir stärker als die SPD sind, ist in den Ost-Ländern nicht außergewöhnlich. Bei den Kommunalwahlen in Thüringen haben wir zugelegt, gerade dort, wo wir schon stark waren. Wenn die SPD weiter an Koalitionen mit der CDU festhält, wird sie immer kleiner werden. Aber ich glaube: Sie hat gelernt. Es gibt der SPD zu denken, dass das benachbarte Hessen schwarz-grün regiert wird. Die SPD muss daran interessiert sein, in Thüringen eine Machtperspektive jenseits einer Koalition mit der CDU zu haben. Letztlich wird das von der SPD nicht allein in Thüringen entschieden, sondern nach meiner festen Überzeugung auch in Berlin. Das, was wir Linke jetzt machen werden, ist ein so gutes Ergebnis zu erzielen, dass es für eine gemeinsame Regierung reicht. Wir sind mit Bodo Ramelow darauf hervorragend vorbereitet.

„Totalausfall“, „meilenweit von der Regierungsfähigkeit“ entfernt, so jedenfalls nimmt SPD-Fraktionschef Oppermann Ihre Partei wahr. Was sagen Sie dazu?

Bartsch: Es ist schon erstaunlich, wie wohl sich die SPD als kleiner Juniorpartner der Union fühlt. Die SPD ist meilenweit davon entfernt, den Kanzler zu stellen.

Im Bund sind Sie wegen der Außenpolitik zur Opposition verdammt - weil Sie zu jedem Militäreinsatz pauschal Nein sagen. Oder sehen Sie das anders?

Bartsch: Allerdings. Es gibt auch in der SPD viele, die nur sehr schweren Herzens Militäreinsätzen zugestimmt haben. Sollte es zu einer Mitte-Links-Regierung kommen, werden die entsprechenden Fragen geklärt werden. Auch die Linke würde Verträge einhalten.

Das heißt im Umkehrschluss: UN-mandatierte Militäreinsätze wären auch für die Linke vorstellbar?

Bartsch: Ich habe gesagt, dass wir Verträge achten. UN-Mandate, die beschlossen sind, sind selbstverständlich zu respektieren. Über die Frage, ob sie verlängert werden, ist neu zu entscheiden. Man muss sich jeden Einsatz einzeln anschauen. Klar ist: Mit der Linken gibt es kein „Weiter So“. Als wir 2002 zum Afghanistan-Krieg Nein gesagt haben, war im Bundestag die Hölle los. Heute gibt es keine Partei mehr, die nicht für den Truppenabzug wäre. Dazu haben wir einen Beitrag geleistet.

War Afghanistan ein Fiasko?

Bartsch: Ja. Nach zwölf Jahren Einsatz ist das Ergebnis katastrophal. Viele Milliarden Euro verpulvert, mehr als 50 tote deutsche Soldaten, viele Tausend Tote unter den Zivilisten. Jetzt, wo der Abzug begonnen hat, spielen die Taliban wieder eine größere Rolle. Und der Mohnanbau für die Rauschgiftproduktion ist so groß wie nie.

Bundespräsident Gauck sagt, im Kampf um die Menschenrechte sei es „manchmal auch erforderlich, zu den Waffen zu greifen“. Redet er einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik das Wort?

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Bartsch: Das tut er. Ich halte das für einen großen Fehler. Deutschland ist jetzt schon in elf Ländern mit fast 5000 Soldaten engagiert. Wir sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Es ist keine 20 Jahre her, da war ein Auslandseinsatz der Bundeswehr undenkbar. Es hat eine Gewöhnung eingesetzt, die ich äußerst problematisch finde. Kriege lösen keine Probleme.

Sie und Ihre Partei gelten in der Ukraine-Krise als Russland-Versteher...

Bartsch: ... was mir lieber ist, als Russland nicht zu verstehen. Ohne Russland gibt es dort keine Lösung.

...sind Sie zu blauäugig?

Bartsch: Nein. Man muss sich immer fragen, wie der Konflikt so eskalieren konnte. Da hat auch der Westen schwerwiegende Fehler gemacht. Es ist gut, dass es mit der Linken eine Partei gibt, die darauf aufmerksam macht, dass es nicht nur einen Schuldigen gibt.

Können wir mal nach vorn schauen? Ist ein Waffenstillstand realistisch?

Bartsch: Ich sehe eine reale Chance, zu einem Waffenstillstand zu kommen. Aber machen wir uns nichts vor: Die Ukraine wird für mehr als ein Jahrzehnt ein Land mit riesigen Problemen bleiben. Wenn Putin eine militärische Lösung wollte, hätte er sie längst erreichen können. Die einzige Chance zur Lösung des Konflikts ist meines Erachtens eine föderale Struktur mit mehr Eigenständigkeit für die Regionen des Landes. Die Strukturfrage wird aber gelöst werden, da bin ich zuversichtlich. Das Hauptproblem ist mittelfristig die schwere ökonomische Krise der Ukraine.