Berlin. . Der Ex-Außenminister und frühere FDP-Chef geht mit der schlechten Nachricht von seiner Krebserkrankung selbst an die Öffentlichkeit. Das ist alles andere als selbstverständlich. Früher wurde jede Schwäche eines Politikers verschwiegen.

Guido Westerwelle geht mit seiner Leukämie-Erkrankung offensiv um. Der ehemalige Außenminister und FDP-Chef gab am Freitag bekannt, dass er schwer erkrankt sei. Er leidet an Leukämie. Westerwelle hofft, dass ihm die „vollständige gesundheitliche Genesung“ gelingt. Der 52-Jährige ist längst in medizinischer Behandlung.

Westerwelle ist ein Privatmann, seine Partei schied Ende 2013 aus dem Bundestag aus. Und doch war es eine Nachricht, die in Berlin Schockwellen auslöste. Der FDP-Mann hat die Bundespolitik der letzten 20 Jahren stark geprägt. Er wirkte vital, voller Energie und hatte mit seiner Stiftung, der Westerwelle- Foundation, eine Aufgabe gefunden. Er musste es nicht publik machen. Die Krankheit ist eine Privatsache und er keine öffentliche Person mehr. Aber es entspricht seinem Temperament – Rückschläge stacheln ihn erst richtig an. Und es passt auch zur neuen Offenheit.

Krankheiten bei Politikern häufig ein Geheimnis

Früher waren Krankheiten in der Politik ein gut gehütetes Geheimnis. Heute kommt es immer häufiger zum Tabubruch, mitunter erzwungen – als mediale Vorwärtsverteidigung. So gab der frühere SPD-Chef Matthias Platzeck im letzten Sommer eine Woche nach einem Schlaganfall ein Interview, weil er im Krankenhaus erfahren hatte, dass ein Blatt davon Wind bekommen hatte. Das Personal klagte über den „Nachfrageterror“. Auch Westerwelle ging nun mit der Bitte an die Öffentlichkeit, „von Nachfragen abzusehen.“ Klarheit schaffen – um Ruhe zu haben.

In Amerika muss ein Präsident unentwegt Vitalität ausstrahlen: Kraftvoll, energisch, selbstredend unverwundbar. Dass ein John F. Kennedy Rückenprobleme hatte, haben die Amerikaner ebenso wenig erfahren wie vom Herzinfarkt Dwight D. Eisenhowers.

Willy Brandt litt als Kanzler unter Depressionen

In Bonn bekannte Willy Brandt erst nach seinem Rücktritt im Mai 1974, „in Wirklichkeit war ich kaputt“. Er litt unter schweren Depressionen, war oft tagelang nicht zu sprechen. Als Helmut Schmidt zum Ende seiner Kanzlerschaft im Jahr 1981 einen Herzschrittmacher bekam, wurde es geheim gehalten. Die frühere Kieler Ministerpräsidentin Heide Simonis hat jahrelang einen Brustkrebs verschwiegen.

Noch 2004 belog Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) die Öffentlichkeit: Einen lebensbedrohlichen Schlaganfall gab er als „Schwächeanfall“ aus. Das ist verständlich, weil sich schnell die Frage stellt, ob einer noch belastbar ist. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat in einer Phase, als er schwer angeschlagen war, der Kanzlerin mehrmals den Rücktritt angeboten. Sie lehnte jedes Mal ab und riet ihm, sich auszukurieren.

Merkels Beckenbruch ließ sich nicht verheimlichen

Der Beckenanbruch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ sich Anfang des Jahres ohnehin nicht verheimlichen. Aber unabhängig davon sind auch Alphatiere immer weniger zur Geheimniskrämerei bereit. Die Chefin der bayrischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, redete über ihren drohenden Schlaganfall – in letzter Minute war sie ins Krankenhaus gegangen.

Der Grüne Jürgen Trittin verheimlichte nicht seinen Herzinfarkt, offen gehen seine Parteifreunde Hans-Christian Ströbele und der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach mit ihren Krebserkrankungen um. Der Linke Gregor Gysi gab kurz nach einem chirurgischen Hirneingriff gleich ein Interview dazu. Entscheidend ist, dass jeder selbst bestimmt, ob und wann er – wie Guido Westerwelle – an die Öffentlichkeit geht.