Washington. US-Präsident Barack Obama hat seine Vorstellungen zur Eindämmung der Krise im Irak präzisiert. Militärische Aktionen unter amerikanischer Leitung sollen dabei nur das allerletzte Mittel sein. Denn schließlich sollen die USA nicht noch einmal zwischen die religiösen Fronten geraten.

Einer, der es wissen muss, hat die von Bagdad geforderten US-Luftangriffe gegen die islamistische Terror-Guerilla der „Isis“ (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) am schnellsten begraben. „Wir sollten nicht die Luftwaffe der Schiiten sein“, sagte David Petraeus, der vor sieben Jahren im Irak das Kommando hatte. US-Präsident Barack Obama hat sich den Rat des Ex-Generals zu eigen gemacht. Sein Plan zur Eindämmung der Krise im Irak sieht anders aus. Amerikas militärischer Fingerabdruck soll so klein wie eben möglich bleiben. Auf keinen Fall sollen die USA wie in den Jahren ab 2003 noch einmal zwischen die religiösen Fronten geraten. Militärschläge, die nur einer Volksgruppe zugutekommen, sind darum ausgeschlossen. Washington will nicht als Erfüllungsgehilfe der in Ungnade gefallenen Regierung von Nuri al-Maliki wahrgenommen werden. Die wichtigsten Hintergründe im Überblick:

Was hat Obama entschieden?

- Definitiv keine US-Kampftruppen im Irak. Stattdessen insgesamt rund 600 Soldaten und Elite-Militärberater von Navy Seals, Rangers und Green Berets, die die irakische Armee beim Kampf gegen Isis logistisch unterstützen sollen - ohne selbst zur Waffe zu greifen.

- intensive Aufklärung durch Satelliten und Geheimdienste, um das Geschehen am Boden rund um die Uhr endlich treffend beurteilen zu können.

- diplomatische Offensive verstärken, um Anrainer wie Iran und Saudi-Arabien ins Boot zu holen für eine friedliche Lösung.

- Druck auf die Regierung Maliki in Badgad ausüben, um alle Volksgruppen angemessen zu beteiligen.

Sind Militärschläge kurzfristig zu erwarten?

Nach heutigem Stand: Nein. „Gezielte und präzise militärische Aktionen“, wie sich Obama ausdrückte, werden zwar latent vorbereitet, etwa durch die Positionierung von Kriegsschiffen, bleiben aber nur das allerletzte Mittel. Weil Obama den Einsatz von Kampftruppen kategorisch ausgeschlossen hat, blieben nur Luftangriffe: Kampfjets oder Drohnen. Aus der Erfahrung in Pakistan weiß die US-Regierung, dass Drohnen-Angriffe problematisch sind - dann nämlich, wenn Zivilisten sterben. Weil geheimdienstliche Erkenntnisse ergeben haben, dass sich Isis-Kampfverbände gezielt unter das normale Volk mischen und in Schulen oder Wohngebieten Zuflucht suchen, hat Generalstabschef Martin Dempsey im Senat gewarnt: „Es ist nicht so, als könnte man ein iPhone-Video anschauen und dann sofort auf einen Konvoi schießen.“

Wie steht Washington zu Regierungschef Nuri al-Maliki?

Offiziell sagt Obama, es sei nicht Sache Amerikas, Führungsfiguren für den Irak auszusuchen. Er hat aus dem Fall Syrien gelernt, wo er Assad mehrfach öffentlich zum Abdanken aufrief - das Ergebnis ist bekannt. Fakt ist: Seine Erklärung zu Maliki kommt einer Aufforderung zum Rücktritt gleich. Washington ist mit der Geduld am Ende. Hinter den Kulissen sondieren hochrangige US-Offizielle mit Vertretern von Kurden, Sunniten und Schiiten seit Tagen eine Alternative zu dem einst von den USA installierten Schiiten Maliki, dessen spalterische Politik maßgeblich für die Zerrüttung des Irak verantwortlich gemacht wird. Die Washington Post spricht von einem „stillen Putsch“. Problem: Ohne ausdrückliche Unterstützung des Iran, der sich als Schutzmacht der Schiiten im Irak versteht, „wird es keinen neuen Premierminister geben“, heißt es in Regierungskreisen in Washington.

Obamas Vorsicht, die "Militärberater" und die Republikaner 

Woher rührt Obamas ausgeprägte Vorsicht?

Der Präsident hat 2011 den von George W. Bush geerbten Krieg im Irak, der 4500 tote GI‘s forderte und bis heute in der amerikanischen Bevölkerung als Fehlschlag gilt, für beendet erklärt und gemäß seines Wahlversprechens von 2008 alle Truppen heimgeholt. Die Entscheidung, nun erneut Soldaten in das Zweistromland zu schicken, fällt ihm ausgesprochen schwer. Er rechtfertigt dies mit der Gefahr für den Irak, die Region und die Sicherheitsinteressen Amerikas, die durch das Erstarken des Terrornetzwerks Isis entstanden sei. Eine neue Brutstätte für Islamisten soll sich nicht etablieren. Aber: Solange nicht alle entscheidenden Volksgruppen im Irak substanziell an der Macht in Bagdad beteiligt werden, hält er Militäraktionen gegen die sunnitisch dominierte „Isis“ für kontraproduktiv. Obama sieht die Gefahr, dass sich gemäßigte Sunniten im Falle von Drohnen- oder Luftangriffen gegen Amerika wenden oder sogar mit den Extremisten verbünden könnten. Seine Hoffnung insgeheim: Wenn Bagdad damit aufhört, Sunniten zu benachteiligen und sich allein auf die Schiiten zu stützen, wird die irakische Armee willens und in der Lage sein, sich eigenständig gegen die Aufständischen zur Wehr zu setzen.

Ist der Einsatz von US-„Militärberatern“ unbedenklich?

Offiziell sollen die Elite-Soldaten in Bagdad und im kurdischen Norden nur in gemeinsamen Einsatzstäben mit Irakern eingesetzt werden, diese beraten und Informationen über die Isis sammeln. Was aber, wenn sie in Kämpfe verwickelt werden sollten? Werden dann aus den Beratern Kampftruppen? Kritiker erinnerten bereits daran, dass der Vietnam-Konflikt in den 60er Jahren ebenfalls mit der Entsendung von Militärberatern begann. Nach und nach ließ sich Amerika später in einen verhängnisvollen Krieg ziehen.

Unterstützen die Republikaner Obama bei seiner Strategie?

Fehlanzeige. Führende Köpfe wie John Boehner und John McCain sehen in der abwartenden Haltung Obamas einen schweren Fehler, der die Lage im Irak immer prekärer werden lasse. Sie folgern, seine Präsidentschaft sei zwei Jahre vor Ablauf der Amtszeit am absoluten Tiefpunkt angekommen. Über die möglichen Konsequenzen von Luftangriffen schweigt sich die Opposition aus. US-Medien sehen die vehemente Kritik an Obama im Zusammenhang mit den Halbzeitwahlen im Kongress in fünf Monaten. Für Aufsehen sorgte Dick Cheney, Vizepräsident unter George W. Bush, und einer der Hauptkriegstreiber 2003. Cheney warf Obama im „Wall Street Journal“ vor, den Irak im Stich gelassen und „Amerikas Sieg“ in eine „Niederlage“ verwandelt zu haben. Außenminister John Kerry verbat sich stellvertretend für die Regierung Ratschläge von Cheney. Selbst dem rechtspopulistischen Anti-Obama-Sender Fox News wurde es zu viel. In einem Interview mit Cheney sagte Moderatorin Megyn Kelly: „Die Geschichte hat bewiesen, dass Sie im Irak ein ums andere Mal falsch gelegen haben.“