Erbil. . Hunderttausende Menschen fliehen vor den anhaltenden Kämpfen im Irak. Die meisten von ihnen in die sicheren Kurdengebiete. Dort sind schon viele Syrer gestrandet. Es fehlt an allem: Lebensmittel, Kühlaggregate, Wasserbehälter, Medikamente. Und ein Ende der Flüchtlingswelle ist nicht abzusehen.

Der Hilferuf war dramatisch: „Unsere Vorräte gehen zu Ende, wir haben noch zwei oder drei Tage zu essen“, sagte Amel Shamon Nona am vergangenen Mittwoch, als wir mit ihm telefonierten. Nona ist der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul.

Zwei Tage zuvor war er mit vielen anderen Menschen aus der nordirakischen Millionenstadt geflohen, als sie von der radikalen Islamisten-Miliz Isis und anderen sunnitischen Aufständischen überrannt wurde. Wir erreichten Nona in Telkef, einer Kleinstadt wenige Kilometer nördlich von Mossul.

Am Samstag erreichte ein erster Hilfstransport Telkef. An Bord 26 Tonnen Lebensmittel, finanziert aus Spenden unserer Leser, der Deichmann-Stiftung und der Evangelischen Allianz. „Der Transport ist gerade noch rechtzeitig gekommen“, berichtete Erzbischof Nona gestern hörbar erleichtert. Die Hilfe kann allerdings nur ein Anfang sein: Allein Nona kümmert sich um 300 christliche Familien in Dörfern in der Nineveh-Ebene.

Christen wurden hingerichtet

Aus der Umgebung von Mossul sind bislang mindestens 370.000 Menschen geflohen, teils aus Angst vor den Islamisten – Isis hat in der Stadt laut Augenzeugenberichten Christen hinrichten lassen, die nicht zum Islam konvertieren wollten, und Häuser von Andersgläubigen enteignet.

Teils sind die Menschen aber auch geflohen, weil sie Angst vor den Gegenangriffen der irakischen Armee haben. Die meisten von ihnen haben sich in die sichere autonome Region Kurdistan jenseits der Nineveh-Ebene gerettet. Dort sind die Flüchtlinge bei Privatleuten, in Schulen und Moscheen untergekommen, derzeit richten die Behörden vier neue Flüchtlingslager ein.

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Die Kurdenregion wird förmlich von Flüchtlingen überschwemmt. Vor dem Isis-Sturm auf Mossul strandeten dort bereits bislang 270.000 syrische Kurden, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland geflohen und die in etwa einem Dutzend Camps untergebracht sind. Dazu kommen etwa 200.000 Menschen, die während der irakischen Bürgerkriegswirren nach 2004 in die Region gekommen sind, viele von ihnen verfolgte Christen aus Mossul, Bagdad und Basra im Süden.

Von der irakischen Armee umzingelt

Seit Anfang des Jahres sind zudem Zehntausende Araber aus der Anbar-Provinz im Westen des Landes in die Kurdenregion geflüchtet, vor allem Menschen aus Falludscha.

In der Stadt lebten früher 300.000 Menschen, Anfang des Jahres übernahmen dort Isis und andere sunnitische Aufstandsgruppen die Kontrolle. Seitdem ist Falludscha von der irakischen Armee umzingelt und wird täglich mit Artillerie beschossen. Hunderte Zivilisten sind dabei umgekommen. „Wir sind jetzt das dritte Mal aus Falludscha geflohen“, erzählte Sufian Hamed Khudair, den unsere Mediengruppe im April in Shaqlawa, einer Kleinstadt in der Nähe der kurdischen Hauptstadt Erbil traf. „Zweimal wurde Falludscha von den Amerikanern zerstört, jetzt wird es von der irakischen Armee verwüstet.“

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Schauplatz erbitterter Schlachten

2004 war Falludscha zweimal Schauplatz erbitterter Schlachten zwischen Aufständischen und der US-Armee. Khudair ist Schmuckhändler, seine Läden existieren nicht mehr, erzählte er. Trotz allem zeigte er sich mit den sunnitischen Widerstandsgruppen solidarisch: „Das sind keine islamistischen Terroristen, das sind Revolutionäre, die Falludscha schützen wollen.“ Schuld an dem Drama ist für ihn allein die schiitisch dominierte irakische Regierung.

Die kurdische Regionalregierung geht angesichts des Flüchtlingsansturms allmählich in die Knie: Rezgar Mustafa ist Bürgermeister von Khabad, einer Stadt an der kurdischen Grenze. „Es wird von Tag zu Tag schlimmer“, sagt er. In der Nähe der Stadt haben sie jetzt ein Camp eingerichtet, 350 Familien leben bereits dort, weitere 150 sollen kommen. „Wir brauchen Lebensmittel, Kühlaggregate, Wasserbehälter, Taschenlampen“, sagt Mustafa. Die Flüchtlingswelle habe noch lange nicht ihren Scheitelpunkt erreicht.