Bagdad. . Die Horden der auf Bagdad vorrückten Dschihadisten von Al-Kaida und Isis zählen gerade einige hundert Mann. Doch die Angst vor den Gotteskriegern ist groß in der irkaischen Armee, die Moral hinüber, die Korruption Alltag. Auch die Milliarden der Amerikaner konnten die Kampftruppen nicht stärken.
Iraks Premierminister wirkte erschüttert. „Wie konnte das passieren? Warum sind einige unserer Militäreinheiten kollabiert?“, polterte er in die Kamera. „Die Kräfte von Al-Kaida und Isis sind zu schwach, um es mit unserer Armee und Polizei aufzunehmen. Was also ist passiert?“ fragte Nuri al-Maliki, um sich selbst zu antworten. Es habe Verrat gegeben und Verschwörung. Er werde die Verantwortlichen hart bestrafen und eine neue Armee von Freiwilligen aufbauen.
Am Freitag stieß Großajatollah Ali al-Sistani, die höchste Lehrautorität der irakischen Schiiten, in das gleiche Horn. Sein Sprecher rief in Kerbala alle Mitgläubigen auf, sich zu bewaffnen, um „ihr Land, ihr Volk und ihre heiligen Stätten“ gegen die sunnitischen Extremisten zu verteidigen. Der schiitische Geistliche Moqtada al-Sadr forderte seine Anhänger auf, Milizenverbände zu organisieren, um die schiitischen und christlichen Gotteshäuser zu schützen. Die irakische Armee befestigte ihre Stellungen rund um die Hauptstadt. Anders als die Einheiten im sunnitischen Norden und Westen des Landes gelten die hier stationierten Divisionen gegenüber der schiitisch geführten Zentralregierung als loyal.
Neue Stufe der Eskalation
Damit erlebte der Irak am Freitag eine neue Stufe der Eskalation, die schnell in einem totalen Bürgerkrieg enden kann und ohne den spektakulären Kollaps von beträchtlichen Teilen der Armee undenkbar wäre. 25 Milliarden Dollar haben die Vereinigten Staaten in den letzten zehn Jahren in die irakischen Streitkräfte gesteckt, die zusammen mit der Polizei etwa eine Million Personen beschäftigen. Nach nur fünf Tagen Offensive von ein paar tausend Gotteskriegern vom „Islamischen Staat in Irak und Syrien“ existieren vier der 14 irakischen Divisionen nicht mehr. Allein in Mossul suchten innerhalb von 24 Stunden zwei Divisionen mit 30 000 Soldaten zusammen mit 52 000 Polizisten das Weite, rannten davon vor einigen hundert Angreifern. In den Wochen zuvor waren hier bereits täglich 300 Soldaten desertiert.
Insofern sind US-Militärexperten von dem Desaster ihrer einstigen Schützlinge kaum überrascht. In ihren Augen hat es Premier Maliki nicht vermocht, die Armee zu einer nationalen Institution aufzubauen. Stattdessen benutzte er sie als Handlanger seines schiitischen Machtanspruchs. In den sunnitischen Städten führten sich die Soldaten nicht als Schutzmacht auf sondern als Besatzer. „Die waren nicht die Armee des Irak, die waren die Milizen von Maliki“ zitiert die „New York Times“ einen geflohenen Sunniten aus Mosul.
Zivilkleider unter den Uniformen
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Korruption, mangelnde Disziplin, schlechte Kampfmoral, inkompetente Führung und schlampige Wartung des Geräts haben dann den Rest besorgt. Offiziere wurden befördert, nicht weil sie kompetent waren, sondern Schiiten. Junge Wehrwillige ließen sich von dem verhältnismäßig guten Monatsgehalt von 700 Dollar anlocken. Dann bestachen sie ihre Kommandeure, um Sold zu beziehen und gleichzeitig irgendwo anders arbeiten zu gehen. Der Staat hatte das Nachsehen.
Bei einer Anhörung im US-Senat in Washington berichtete ein General aus der amerikanischen Botschaft in Bagdad, in den letzten Monaten seien Wachsoldaten der Grünen Zone plötzlich morgens zur Arbeit erschienen mit Zivilkleidern unter den Uniformen. Falls etwas passiere, könne man die Uniform sofort ausziehen und verschwinden, so ihr Kalkül. Zehntausende Soldaten haben es ihnen gleich getan – in den Provinzen Ninive, Kirkuk, Salah al-Din oder Diyala.