Washington. . Der Irak war nie stabil, die Gotteskrieger auch mit dem Tod Osama bin Ladens nie besiegt. Das sollten die USA endlich zugeben. Damit ist aber auch ihre Verantwortung im neuen Irak-Konflikt klar. Ohne die Unterstützung aus Amerika werden die Gotteskrieger in der gesamten Region einfach durchmarschieren. Eine Analyse.

Der Irak kollabiert. Und der Präsident macht ein Nickercken. War ein netter Satz für die Abendnachrichten, den Republikaner-Chef John Boehner losließ, um den jüngsten Brandherd zu beschreiben, dem Barack Obama mehr analysierend zusieht als ihn entschlossen zu löschen. Stimmen tut er trotzdem nicht.

Das Weiße Haus kannte die Warnungen von Militär und Geheimdiensten, dass sich im Niemandsland zwischen Syrien und Irak eine dunkle Macht ausbreitet. Der amerikanische Präsident und sein innerer Kreis waren hellwach. Sie wollten nur nicht wahrhaben, was sich abzeichnete: Dass die hasenfüßige wie überforderte Armee des weder zum Regieren noch Integrieren befähigten Regierungschefs Nuri-al-Maliki in Bagdad diesem Gegner nicht gewachsen sein würde. Obamas Dekret der Nicht-mehr-überall-Einmischung hat sich wie Milchglas vor die realen Verhältnisse geschoben. Die Eskalation dieser Woche macht ihn nun zum Opfer seiner eigenen Versäumnisse.

Durchmarsch der Gotteskrieger

Viel spricht dafür, dass Washington die Machtverhältnisse am Boden mit Drohnen oder Kampfflugzeugen in eine neue Balance bomben will. Sich analog zu Syrien militärischer Entschlossenheit unterhalb der Schwelle von Truppenstationierungen zu verweigern, könnte mit einem Durchmarsch der an El Kaida gestählten Gotteskrieger der „Isis“ auf Bagdad enden. Obamas verbeulte Reputation als Krisenmanager wäre vollends dahin.

Ob Einschüchterungsangriffe bei diesem Terror-Netzwerk Eindruck machen, weiß niemand. Klar ist: Terrorverdächtige in Pakistan und Nordafrika final aburteilen zu lassen, nicht aber im vor dem Kollaps stehenden Irak, lässt sich politisch nicht durchhalten. Aber was käme danach? Eine selbstkritische Bestandsaufnahme und Mythen-Beerdigung ist überfällig.

Obamas Lorbeeren sind verwelkt

Obama muss aufhören, sich auf welk gewordenem Lorbeer auszuruhen. Dass Osama Bin Laden und das Gros der El Kaida-Urbesetzung tot sind, hat nur noch die Wirkung von weißer Salbe. Strategisch blendend geschulte Gotteskrieger-Armeen wie „Isis“ tauchen heute im Irak und morgen in Somalia oder im Sudan auf. Sie haben Höhlen-Osama lange überwunden, dessen Fehler studiert und lassen die USA wie einen alten, übergewichtigen Polizisten aussehen, dem die Diebe mit Leichtigkeit wegsprinten.

Obama muss aufhören, wie Vorgänger Bush („mission accomplished“) Einbildung an die Stelle von Erkenntnis zu setzen. Die Lage im Irak war nie stabil, die Mission nie beendigungsreif. Und die gegen den Rat der Militärs 2010 entschiedene Lösung, wonach das von Kolonialmächten zerrüttete Zweistromland keine ausländische Schutzmacht mehr benötige, eine Mär. Spätestens seit Mossul von Gefolgsleuten des Isis-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi überrannt wurde, wirkt Obamas Mantra, dass Amerika seine Kriege „verantwortungsvoll“ beendet, wie Hohn. Für den anderen Unruheherd Afghanistan lässt diese Wahrnehmung nichts Gutes erahnen.

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Obama muss mit der Einzelfallbetrachtung aufhören. Wenn vom Libanon über Jordanien und Syrien bis in den Irak Extremisten mit Blut eine ideologisch verseuchte Schneise markieren wollen, alimentiert von Scheichs, Mullahs und Emiren, ist Denken und Handeln in regionalen Kategorien vonnöten. Den Iran und Russland in der Schmuddel-Ecke zu belassen, funktioniert nicht. Ohne Teheran und Moskau wird sich der Aktionsradius der Sektierer nicht verkleinern lassen.

Keine einzige US-Intervention hatte ein HappyEnd

All das eine Garantie für Erfolg zu nennen, wäre selbstredend verlogen. So verlogen wie das schneidige Wort der „Falken“, die sich die Lage nachträglich schönreden. Lesart: Hätte Obama früher und härter mit der Faust auf den Tisch gehauen, wäre Assad längst weg vom Fenster und der Irak auf dem Weg zu einer stabilen Demokratie. Wahr ist, dass keine einzige US-Intervention jemals Happy-Ends produziert hat. Schlimmer dagegen wurde es oft. Nicht nur im Irak. In Libyen hat Amerika aus der zweiten Reihe Luftunterstützung gewährt, um Gaddafi unschädlich zu machen. Heute ist das nordafrikanische Land von Gewalt und Terror zerfressener denn je. Auch ohne Drohnen-Angriffe.

Obama hat im Irak keine Wahl. In Syrien hat er eine Katastrophe mit über 150 000 Toten bereits geschehen lassen. Eine zweite werden die Menschen im Nahen Osten dem Westen nicht durchgehen lassen.