Bagdad. . Bereits ein Viertel der irakischen Fläche ist in der Hand der gefährlichen Isis-Terroristen. Die irakische Armee hat ihnen wenig entgegen zu setzen. Die Islamisten bedrohen inzwischen den gesamten Nahen und Mittleren Osten. Fragen und Antworten zum Thema.
Der Kollaps der irakischen Armee und der blitzartige Vormarsch sunnitischer Terroristen über Mossul, Kirkuk und Tikrit in Richtung Bagdad ist die gefährlichste Offensive radikaler Gotteskrieger seit dem Attentat des 11. September 2001. Die Folgen für den Irak und den Nahen Osten sind noch nicht absehbar. Hunderttausende sind auf der Flucht. Die Regierung in Bagdad versucht in heller Panik, die Schiiten in der Hauptstadt zu bewaffnen und stellt Bürgermilizen auf.
Wie entwickelt sich die Offensive der Gotteskrieger?
Anfang der Woche begann die spektakuläre Invasion der Kämpfer des „Islamischen Staats in Irak und Syrien (ISIS)“. Ihre Kommandos sind mit schnellen Geländewagen inzwischen bis in das Umland von Bagdad vorgedrungen. Sie kontrollieren die Provinz Ninive mit dem Zentrum Mossul, Teile der Provinz Kirkuk sowie die Provinz Salah al-Din mit der Hauptstadt Tikrit. In der Nachbarprovinz Diyala sind sie auf dem Vormarsch. Vor den Toren von Samarra, der zweiten großen Stadt in Salah al-Din, konnten Polizei und Armee den Angriff der Gotteskrieger zunächst zurückschlagen, die einzige nennenswerte Gegenwehr bisher. In der Wüstenprovinz Anbar haben die Extremisten bereits seit Januar die Stadt Falludschah in ihrer Gewalt sowie Teile von Ramadi. Damit beherrschen sie jetzt mehr als ein Viertel der irakischen Staatsfläche. Auf ihrer Website kündigen die Gotteskrieger an, ihr Endziel sei die Eroberung von Bagdad und Kerbela, dem Pilgerzentrum der Schiiten 150 Kilometer südlich der Hauptstadt.
Wie ist dieser überwältigende militärische Erfolg zu erklären?
Die Isis-Terroristen haben ihre eigene religiös-ideologische Agenda, profitieren aber auch von der Frustration der sunnitischen Minderheit im Irak über das autoritäre schiitische Regime von Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Die irakische Armee besteht vorwiegend aus Schiiten, die sich in überwiegend sunnitischen Städten wie Mossul, Tikrit und Falludschah jahrelang quasi als Besatzer aufgeführt haben. Aber auch die einstigen Eliten unter Saddam Hussein, die ehemaligen Anhänger der verbotenen Baath-Partei und frustrierte Stammesführer machen unter der Hand mit den islamischen Extremisten gemeinsame Sache. Die irakische Armee dagegen ist korrupt, inkompetent und undiszipliniert. In Mossul liefen innerhalb von 24 Stunden 30 000 Soldaten einfach davon – vor einer Streitmacht von einigen Hundert Angreifern. Die Isis-Brigaden sind für ihre Brutalität berüchtigt. Die Angreifer lassen sich nur schwer unter hohen Verlusten und in einem zermürbenden Häuserkampf wieder aus den Wohnvierteln vertreiben. In Mossul kidnappten die Besatzer den türkischen Konsul sowie die Familien seiner Mitarbeiter. Hunderttausende Bewohner haben die Flucht ergriffen und versuchen, sich in den von Kurden bewohnten Nordirak durchzuschlagen.
Was kann die internationale Gemeinschaft tun?
Die Architektur des gesamten Nahen und Mittleren Ostens steht auf dem Spiel: Direkt verwickelt werden in das Geschehen könnten die Türkei wegen der Geiselnahme ihrer Landsleute sowie der Iran, der sich als Schutzmacht der irakischen Schiiten fühlt. Ankara drohte mit einer „harten Reaktion“, falls den Geiseln etwas geschehe. Irans Präsident Hassan Ruhani erklärte im Staatsfernsehen, die Islamische Republik werde „diesen Terror und diese Gewalt“ auf irakischem Boden nicht tolerieren.