Kiew/Brüssel. Im Bangen um verschleppte OSZE-Beobachter in der Ukraine schaltet sich Russland in die Verhandlungen ein. Kiew wirft Moskau unterdessen vor, Gaslieferungen als “Waffe“ einzusetzen. Die Offensive gegen Separatisten im Osten der Ex-Sowjetrepublik geht unvermindert weiter.
Mit Nachdruck hat sich die OSZE in der krisengeschüttelten Ukraine um Aufklärung über das Schicksal von zwei verschleppten Teams bemüht. Seit der Festsetzung durch prorussische Separatisten fehlt von den Beobachtern jede Spur. "Wir wissen nicht, wo sie sich befinden", sagte Michael Bociurkiw von der OSZE-Mission in Kiew am Sonntag. Separatistenführer Wladimir Rogow sagte, die vier seit Montag festgehaltenen Männer aus Dänemark, Estland, der Schweiz und der Türkei stünden unter "Spionageverdacht".
"Wir unterhalten ständigen Kontakt mit der OSZE-Mission. Sie weiß Bescheid, dass mit ihren Jungs alles okay ist", sagte Rogow in Donezk. Ein anderer Sprecher der Aktivisten betonte, möglicherweise würden die Beobachter gegen inhaftierte Gesinnungsgenossen ausgetauscht. Russland führt nach eigenen Angaben Gespräche mit den militanten Separatisten in der Ostukraine. "Die Freilassung zieht sich hin", sagte Russlands Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Andrej Kelin.
"Energie als eine Art politischer Nuklearwaffe"
Erstmals seit knapp drei Monaten kommt an diesem Montag in Brüssel wieder der Nato-Russland-Rat zusammen. Thema ist die Ukraine. Die Nato hatte die Treffen wegen der Ukraine-Krise ausgesetzt. Ebenfalls am Montag werden in Brüssel die Verhandlungen zur Beilegung des milliardenschweren Gasstreits zwischen Moskau und Kiew fortgesetzt.
EU-Energiekommissar Günther Oettinger äußerte sich zuversichtlich, dass der Konflikt nächste Woche beigelegt werden kann. "Ich sehe eine gute Chance, dass wir zu normalen Lieferbeziehungen kommen", sagte Oettinger der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor, Gaslieferungen als "Waffe" einzusetzen. "Wir haben uns entschieden, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben. Und Russland verwendet Energie wieder als eine Art politischer Nuklearwaffe", warnte er in der TV-Sendung "ZDF Berlin direkt". Russland wolle "auf die gleiche Art mit der EU spielen". Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russisches Gas in die EU.
Erneute Kämpfe in Slawjansk
Regierungseinheiten mit Kampfhubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen gingen unterdessen nahe der Separatistenhochburg Slawjansk in der Ukraine erneut gegen Aktivisten vor. Die Sicherheitskräfte hätten Stellungen beschossen und Straßensperren attackiert, berichteten Medien aus der Ex-Sowjetrepublik. Ein Separatistensprecher sagte, viele Zivilisten hätten sich in Kellern in Sicherheit gebracht. Ein Teil, vor allem Frauen und Kinder, habe Slawjansk verlassen.
Der Republikchef der russischen Konfliktregion Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, wies Berichte zurück, in der Ukraine würden Kämpfer aus der Kaukasusregion offiziell an der Seite der Separatisten kämpfen. "Ich kann nicht ausschließen, dass dort tschetschenische Freiwillige kämpfen, aber die Berichte über eine tschetschenische Sondereinheit sind absolut unwahr", betonte Kadyrow.
Obama trifft neuen Präsidenten Poroschenko
US-Präsident Barack Obama trifft im Rahmen eines Europa-Besuches am kommenden Mittwoch in Warschau mit dem neu gewählten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusammen. Es sei wichtig für Obama, Poroschenko in direktem Kontakt zu versichern, dass die USA dem ukrainischen Volk verpflichtet seien, teilte das Weiße Haus mit.
Der US-Regierung zufolge hat Russland etwa zwei Drittel seiner Soldaten von der ukrainischen Grenze abgezogen. Dies seien erste Schritte, sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki in Washington. Nach Schätzungen der US-Regierung waren entlang der russisch-ukrainischen Grenze zeitweise etwa 40 000 Soldaten postiert. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen begrüßte den Teilrückzug. "Es gibt aber noch eine erhebliche Anzahl russischer Truppen, die aktiv werden könnten, wenn es dazu eine politische Entscheidung geben sollte", warnte er.
Die proeuropäischen Demonstranten auf dem Maidan (Unabhängigkeitsplatz) in Kiew wiesen einen Appell des Politikers Vitali Klitschko zur Räumung des Protestlagers zurück. Die Demokratisierung der Ukraine sei nicht zu Ende und müsse weiter kritisch begleitet werden, hieß es in einem Beschluss der Organisatoren. Daher müsse die seit einem halben Jahr andauernde Kundgebung im Zentrum der Hauptstadt fortgesetzt werden. Klitschko hatte gesagt, die Präsidentenwahl am vergangenen Wochenende sei ein guter Anlass zur Beendigung des Lagers. Der Ex-Boxchampion war vor wenigen Tagen zum Bürgermeister von Kiew gewählt worden. (dpa)