Berlin. Mit der Debatte um den Solidaritätszuschlag geht der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus in den Wahlkampf. Der kalkulierte Tabubruch soll seiner Partei die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl am 30. August sichern helfen. Denn die ist im Moment alles andere als sicher.

Neulich wurde Dieter Althaus gefragt, was er sich wünschen würde, wenn er einen Wunsch frei hätte. Die Antwort war entlarvend. Althaus würde sich wünschen, „dass sich Thüringen so erfolgreich weiterentwickelt wie in den letzten knapp 20 Jahren.” So redet ein Ministerpräsident. So redet einer, der in der Politik wieder andocken will. Dabei gäbe es menschlich größere Wünsche, zum Beispiel den Ski-Unfall ungeschehen zu machen, bei dem eine Frau ums Leben kam.

Wenn es noch eines Beweises dafür bedurfte hätte, dass der Christdemokrat den Hebel umgelegt hat, sind es seine Äußerungen am Freitag zum Soli: Im Falle eines Wahlsieges von Union und FDP würde Althaus die ganze Steuerpolitik weiter entwickeln und ausdrücklich auch den Solidaritätszuschlag auf den Prüfstand stellen.

Kein anderer Regierungschef eines ostdeutschen Landes hat bisher am „Soli” gerüttelt. Kein anderer hat den Tabubruch so nötig wie Dieter Althaus. Seine Partei kommt nach der jüngsten MDR-Umfrage auf 34 Prozent. Sie läuft Gefahr, ihre absolute Mehrheit im Freistaat zu verlieren. Erstmals seit zehn Jahren wäre die CDU auf einen Koalitionspartner angewiesen.

Er braucht dieses politische Lebenszeichen

Er brauchte unbedingt dieses politische Lebenszeichen, „ein Alleinstellungsmerkmal” würden die Wahlkampfmanager sagen. Althaus hatte den schweren Skiunfall am Neujahrstag in Österreich noch lange nicht bewältigt, als er Ende März längst die Rückkehr in die Politik anging. In frappierender Routine trieb es ihn spätestens nach Ostern von Termin zu Termin. Jeder sollte merken, dass der Mann dem Amt gewachsen ist.

Freimütig erzählte Althaus, dass er wieder Sport macht, wandern geht. Bereitwillig ließ er sich auf dem Mountainbike ablichten. Zuletzt gab er Auskunft darüber, dass er nach dem Schädel-Hirn-Trauma nicht mehr zum Arzt muss. Und: „Ich nehme keine Medikamente mehr.” Er sei fit und spüre keine Beeinträchtigungen. Althaus über Althaus: „Voll einsatzbereit”. So viel zur Frage der Amtstüchtigkeit.

Althaus zeigt kein Herz

Er hat viel Fitness gezeigt, und bestimmt sind Blutdruck und Puls bestens. Allein Herz, das hat Althaus nicht gezeigt. Schon früh erschrak man über den Mann, der „um jeden Preis” (Stern) wieder zurück in die Politik drängte. Die Opposition in Erfurt wunderte sich über sein Bekenntnis, der Unfall habe ihm einen „Schub für mehr Sensibilität” gegeben. Macht sich da einer selbst zum Opfer?

So ist es nicht. „Mir geht der Skiunfall nicht aus dem Kopf”, versichert er, „ich bin tagtäglich im Gebet bei Frau Christiandl und ihren Hinterbliebenen.” An den Unfall selbst kann er sich nicht erinnern. Das ist nicht unüblich bei solchen Schädel-Hirn-Traumata. Und es erklärt vielleicht, wie seltsam ungerührt er darüber reden kann; als würde er über das Schicksal eines Anderen referieren.

Wohl temperierte Interviews

Die politische Rekonvaleszenz zog sich über drei Phasen hin. Erst machte der Unfall ihn zum Unberührbaren. Jede Attacke gegen ihn verbat sich, nicht nur die eigene Partei ging mit der Tragödie des Spitzenmannes ausgesprochen anständig um. In der zweiten Phase meldete er sich als Phantom zurück. Mit wohl temperierten Interviews oder in einer Grußbotschaft für eine Parteiversammlung.

Das Signal war immer gleich: Hier wollte einer gar nicht erst den Gedanken aufkommen lassen, er könne vor dem Abschied stehen. Es war der Punkt, wo die öffentliche Anteilnahme rissig wurde und die ersten Anstoß nahmen an der unterkühlten Bewältigung. In der dritten und letzten Phase gibt sich Althaus wieder als der Alte, der im Wahlkampf – siehe Soli – keine Debatte, kein Risiko, keinen Tabubruch scheut. Bleibt die Frage für den 30. August, ob die Thüringer sich den Alten oder einen ganz anderen Althaus wünschen.