Kairo. . Gut zehn Monate nach dem Sturz von Präsident Mursi wählt Ägypten ein neues Staatsoberhaupt. Favorit ist der ehemalige General Abdel Fattah al-Sisi. Folter, sexueller Missbrauch und Massen-Verurteilungen sind an der Tagesordnung. Für Beobachter liegt die Demokratie noch in weiter Ferne.

„Er ist Allah bereits zweimal begegnet“, deklamierte die Zeitung „Al Fagr“ auf ihrer ersten Seite und jubelte, der Held Ägyptens stamme direkt vom Propheten Mohammed ab. Wie der neue Messias wird Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi seit Wochen verehrt – ein Personenkult, der ihn wohl an diesem Montag und Dienstag in das höchste Staatsamt tragen wird. Den Weg dahin hat er sich selbst freigemacht durch den Militärputsch gegen Mohamed Mursi, dessen Präsidentschaft er am 3. Juli letzten Jahres mit Gewalt beendete.

Seitdem ist Sisi der starke Mann, die gesamte Geschäftselite, alle TV-Sender, Armee, Polizei und Justiz stehen hinter ihm, während seine Anhänger von ihm schnelle Erlösung aus Wirtschaftsmisere und Instabilität erhoffen. Einziger Rivale ist der Linkspolitiker Hamdeen Sabahi, der nur eine Außenseiterchance hat.

Ein General als Staatschef

Landauf, landab ist Ägypten mit Sisi-Plakaten gepflastert. Öffentlich aufgetreten aber ist der 59-Jährige nicht ein einziges Mal, während sein Kontrahent Sabahi unermüdlich über die Städte und Dörfer tourte und um die Stimmen der enttäuschten jungen Revolutionäre, sozial Benachteiligten und Armen warb. Sisi dagegen beschränkte sich auf von seinen PR-Leuten sorgfältig edierte TV-Interviews und lud erlesenes Publikum in ein militäreigenes Luxushotel in Kairo.

Und so ist auf der Straße inzwischen auch Ernüchterung zu hören. „Sisi ist und bleibt ein General“, sagt Kareem Muhamed, der nach eigenen Worten vor einem Jahr noch den Sturz von Mursi durch das Militär begrüßt hatte. „Man kann nicht einfach jemanden aus der Armee nehmen, der keine Erfahrung mit Politik hat, und ihn zum Präsidenten machen – das funktioniert nicht.“ Die Muslimbrüder, aber auch die Demokratiebewegung 6. April sowie einige kleinere Linksparteien haben zum Boykott der Abstimmung aufgerufen. „Wir wollen Sisi nicht“ und „Sisi ist der neue Mubarak“ steht auf Transparenten, die junge Aktivisten am Donnerstagabend auf der achtspurigen 6.-Oktober-Brücke über den Nil den staugeplagten Autofahrern entgegenhalten.

Hunderte haben sich per Facebook und SMS hier verabredet, nach einer halben Stunde sind sie aus Angst vor der Polizei wieder wie vom Erdboden verschluckt. „Jeder, der anderer Meinung ist, wird ins Gefängnis geworfen. Sisis Krieg gegen den Terror ist in Wirklichkeit ein Krieg gegen alle Andersdenkenden“, sagt Ahmed Sabri, Jurastudent, der ein Poster mit einer rot durchkreuzten Schirmmütze hochhält. „Mit ihm als Präsidenten haben junge Leute in diesem Land keine Zukunft.“

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Hunderte Todesurteile

Ein Wahlprogramm jedenfalls hat Sisi gar nicht erst vorgelegt, „das würde nur Diskussionen auslösen und die Menschen entzweien“, hieß es aus seiner Umgebung. Die Muslimbruderschaft ließ er pauschal zur Terrororganisation erklären, die säkulare Demokratiebewegung 6. April verbieten, Menschenrechtsorganisationen sehen sich von der Staatssicherheit systematisch eingeschüchtert. 16.000 Menschen haben die neuen Machthaber bereits ins Gefängnis geworfen. Folter und sexueller Missbrauch in den Kerkern finde andauernd und gehäuft statt, urteilt Amnesty International. Hunderte wurden in dubiosen Massenverfahren zum Tode verurteilt – die wohl härteste diktatorische Unterdrückung in der modernen Geschichte Ägyptens.

53 Millionen wahlberechtigte Ägypter müssen sich nun zwischen den beiden ungleichen Kontrahenten entscheiden. Favorit Sisi hofft vor allem auf eine hohe Beteiligung, um sein Mandat auf breite Basis stellen zu können. Für Sabahi wäre es bereits ein Erfolg, wenn er mehr als 20 Prozent bekäme. „Sabahi ist sympathisch, aber schwach“, sagt ein Metallhändler, der in Alt-Kairo kleine Holzkohlegrills feilbietet. „Er hat ein offenes Ohr für die Armen, kann sich aber nicht durchsetzen.“

Sisis Anhänger dagegen erwarten von ihrem Idol eine starke Hand – Ruhe und Ordnung, Erholung der Wirtschaft und Rückkehr der Touristen. Die Ideale des Arabischen Frühlings, daran ließ er Ex-Feldmarschall keinen Zweifel, sind damit vom Tisch. „Eine echte Demokratie – die gibt in Ägypten vielleicht in 20 bis 25 Jahren.“