Jülich. . Ein schwerer Störfall im Jülicher Atom-Versuchsreaktor im Jahr 1978 ist offenbar über Jahrzehnte verharmlost worden. Eine Expertenkommission machte den Vorgang jetzt öffentlich. Das NRW-Wirtschaftsministerium kündigte eine sorgfältige Prüfung an.

Eine Expertenkommission hat zahlreiche Fehler beim Betrieb eines heute stillgelegten Reaktors im Forschungszentrum Jülich bei Aachen festgestellt. So seien etwa Zwischenfälle nicht oder in einer zu niedrigen Sicherheitskategorie an die zuständige Aufsichtsbehörde gemeldet worden, heißt es in einem Bericht.

Von einer gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung durch Störfälle in der Anlage sei nicht auszugehen, erklärten die Experten. Nach Ansicht des Vizevorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, zeigt der Bericht, dass „über Jahre hinweg eine gewaltige Gefahr“ bestanden habe.

Die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor hatte die Anlage von 1967 bis 1988 betrieben. Im Jahr 1978 waren bei einem Zwischenfall 27.000 Liter Wasser in den inneren Teil des Reaktors eingedrungen. Erst sechs Tage nach Störfallbeginn hatte das Personal den Reaktor heruntergefahren. Techniker hatten einen Sicherheitsschalter für eine Schnellabschaltung zudem so umgestellt, dass dieser unwirksam wurde.

Sogar ein Super-GAU mit Tschernobyl-Folgen war 1978 nicht ausgeschlossen.

Die Einstufung dieses Vorfalls in die niedrigste Meldekategorie N („geringe sicherheitstechnische Bedeutung“) sei nicht sachgerecht gewesen, schreiben die Experten. Der Vorfall hätte zumindest in die Kategorie B eingestuft werden müssen, wenn nicht die höchste Kategorie A – als „sicherheitstechnisch unmittelbar signifikanter Störfall“.

Daneben wurde der Reaktorkern laut Bericht zeitweise mit überhöhten Temperaturen betrieben, ohne dass dies erkannt worden sei. Vor diesem Hintergrund rügten die Wissenschaftler die geringe Zahl der Temperaturmessungen als „nicht nachvollziehbar“. Zwischen 1970 und 1986 war die Temperatur nur dreimal exakt gemessen worden.

Krischer – er ist Grünen-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Düren bei Aachen – erklärte: „Sogar ein Super-GAU mit Tschernobyl-Folgen war etwa bei dem sogenannten Wassereinbruchstörfall im Jahr 1978 nicht ausgeschlossen.“ Der Betrieb des Reaktors sei „als Blindflug“ erfolgt – außerhalb der genehmigten sicherheitstechnischen Grenzen. Als Konsequenz müsse die weiterhin laufende Atomforschung in Kooperation von Forschungszentrum Jülich und der Hochschule RWTH Aachen nun endgültig und vollständig beendet werden. (goe/dpa)