Essen. . Bei der Kommunalwahl in NRW am 25. Mai schicken Parteien vielerorts Kandidaten ins Rennen, die eine Partei-Mitgliedschaft ablehnen. Die NRW-Piraten haben das gar in ihrer Satzung festgelegt. Aus Sicht von Forschern kann das für Parteien auch kontraproduktiv wirken.

Es geht um die Macht in den Rathäusern in NRW - doch an der Spitze der großen Parteien sehen manche die nahende Kommunalwahl am 25. Mai auch als wichtigen Stimmungstest für die Landes- oder gar die Bundespolitik. Politikwissenschaftler halten wenig davon. Wie so manche Kandidaten auf den Wahlzetteln nichts von Parteien halten - obwohl sie bei der Kommunalwahl für sie antreten.

"Parteien sind ein ziemlich schmutziges Geschäft" sagt etwa Susanne Schwenk. Die 45-jährige Webdesignerin in Köln kandidiert trotzdem für die Kommunalwahl. Erstmals bewirbt sie sich um ein politisches Amt. Sie tut es als Direktkandidatin für die Piraten in Köln. Obwohl sie nicht Parteimitglied ist, "und ich es auch nicht werden will".

"Immer mehr Menschen wollen über Parteien Karriere machen"

Für den Politikwissenschaftler Jens Walther von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil: Dass Parteien parteilose Kandidaten bei einer Wahl aufstellen, gibt es länger, als man meinen könnte: "Bei den Reichstagswahlen im deutschen Kaiserreich, den ersten nationalen Wahlen in Deutschland, war es vor allem liberalen und konservativen Parteien wichtiger, einen geeigneten Kandidaten dem Wähler zu präsentieren, als auf dessen Parteimitgliedschaft zu bestehen".

Heute ist es eher so, "dass immer mehr Menschen in Parteien eintreten, um dort Karriere zu machen", sagt der Siegener Politikwissenschaftler Prof. Tim Spier. Der Grund: "Es ist relativ leicht, in der Politik Karriere zu machen", sagt Spier. Doch gerade bei Kommunalwahlen zeigt sich, dass Parteien auch auf parteilose Kandidaten angewiesen sind - vor allem kleinere Parteien, die in der Fläche zu wenig Mitglieder haben, die sich vor Ort politisch verdingen wollen oder können. Die NRW-FDP etwa schätzt, dass 15 Prozent der Kandidaten, die für sie bei der kommenden Kommunalwahl antreten, parteilos sind.

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Parteilose Kandidaten sind für kleine Parteien wichtig

"Wir müssen in jedem Wahlkreis mit Direktkandidaten antreten, sonst ist die Partei in diesem Wahlkreis nicht für den Stadtrat wählbar", erklärt Thomas Hegenbarth, 1. Vorsitzender der Kölner Piraten. Denn die Piraten wollen endlich im Stadtrat mitmischen, möglichst in Fraktionsstärke. Dazu wird jede Stimme gebraucht.

Die NRW-Piraten haben deshalb sogar in ihrer Satzung festgeschrieben, dass auch parteilose Mitglieder bei der Kommunalwahl für sie antreten können. 45 Wahlbezirke waren in Köln zu besetzen. Das ging letztlich nur, indem dort auch ein paar parteilose Personen auf die Liste gesetzt - und von den Mitgliedern gewählt wurden. Wie Susanne Schwenk im dortigen Wahlkreis 19 mit den Stadtteilen Lindenthal, Braunsfeld und Müngersdorf.

Dilemma der Parteien - wichtig, aber vielfach unbeliebt 

Es ist ein Dilemma, in dem Parteien allgemein stecken, beschreibt Forscher Jens Walther: "Auf der einen Seite sind Parteien bei uns die wirkungsmächtigsten Organisationen zur Einflussnahme auf den politischen Willen. Im Grundgesetz (Artikel 21) sind sie tragende Säule der Demokratie: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit". Auf der anderen Seite wird diesen Organisationen immer weniger vertraut": 68 Prozent der Bürger haben, laut einer Infratest-Umfrage zur Bundestagswahl 2013, eher kein Vertrauen in die politischen Parteien. Das führt auch zu Personalnot vor Ort: "Auf kommunaler Ebene wird es zunehmend schwierig, dem Wähler immer geeignete und kompetente Kandidaten zu präsentieren, die zugleich Parteimitglied sind", meint Jens Walther.

"Ich habe hier sowieso keine Chance", sagt unterdessen Susanne Schwenk. Ein Ratsmandat werde sie sicher nicht ergattern, in ihrem Wahlkreis hatte die CDU zur Bundestagswahl die absolute Mehrheit. "Aber ich möchte in einem Ausschuss mitarbeiten", sagt Schwenk. Und sie möchte "vorleben, dass man sich auch ohne Parteimitgliedschaft vor Ort engagieren kann" - und sollte, findet die 45-Jährige.

Polit-Prominenz und Schnurrbart-Bingo auf Wahlplakaten

Für die CDU Essen ist das Internet längst kein Neuland mehr. Hier werden sogar Hashtags verwendet, ob sie nun Sinn ergeben oder nicht.
Für die CDU Essen ist das Internet längst kein Neuland mehr. Hier werden sogar Hashtags verwendet, ob sie nun Sinn ergeben oder nicht. © Kerstin Kokoska / WAZ FotoPool
Auch die Sparkasse stellt sich offensichtlich zur Wahl. Jedenfalls erinnert das biedere Plakatmotiv, mit dem die Bochumer SPD auf Stimmenfang geht, frappierend an die Fernsehspots der Bank.
Auch die Sparkasse stellt sich offensichtlich zur Wahl. Jedenfalls erinnert das biedere Plakatmotiv, mit dem die Bochumer SPD auf Stimmenfang geht, frappierend an die Fernsehspots der Bank.
Tiere gehen ja immer. Und Katzen ja sowieso. Noch mehr Aufmerksamkeit geht nur mit Katzen hinter Gittern. Chapeau, liebe Grüne in Gladbeck! Das Plakat ist zwar nicht originell, aber man guckt unwillkürlich hin.
Tiere gehen ja immer. Und Katzen ja sowieso. Noch mehr Aufmerksamkeit geht nur mit Katzen hinter Gittern. Chapeau, liebe Grüne in Gladbeck! Das Plakat ist zwar nicht originell, aber man guckt unwillkürlich hin. © Lutz von Staegmann / WAZ FotoPool
Klingt ein bisschen wie frisch aus dem Bullshit-Bingo-Generator, was die CDU Rees sich da auf die Fahnen, respektive aufs Wahlplakat geschrieben hat:
Klingt ein bisschen wie frisch aus dem Bullshit-Bingo-Generator, was die CDU Rees sich da auf die Fahnen, respektive aufs Wahlplakat geschrieben hat: "Gemeinsam Zukunft unternehmen." Wenigstens tritt man damit niemandem auf die Füße.
Das haben sich wohl auch die Wittener Sozialdemokraten gedacht. Sie plakatierten fröhlich
Das haben sich wohl auch die Wittener Sozialdemokraten gedacht. Sie plakatierten fröhlich "Frohe Ostern!" Das hilft zwar nicht bei der Wahlentscheidung, kommt aber besser an als der trockene "Raus aus den Schulden"-Slogan der örtlichen CDU. © Thomas Nitsche
Mit derart banalen Slogans geben sich die Piraten nicht ab, hier geht es um knallharte Inhalte - und irgendwas mit Internet:
Mit derart banalen Slogans geben sich die Piraten nicht ab, hier geht es um knallharte Inhalte - und irgendwas mit Internet: "Update für Essen". © Sebastian Konopka
"Never change a winning team!", scheint das Motto der Marxisten zu sein. Auf welchem Listenplatz stehen die abgebildeten Jungs wohl? © Thomas Nitsche
Haben sie das versteckte Thema auf diesem Wahlplakat erkannt? Es geht um Nachhaltigkeit. Denn dieses Motiv, da können Sie sicher sein, kann man auch zur nächsten Wahl noch verwenden. Und zur übernächsten und zur...
Haben sie das versteckte Thema auf diesem Wahlplakat erkannt? Es geht um Nachhaltigkeit. Denn dieses Motiv, da können Sie sicher sein, kann man auch zur nächsten Wahl noch verwenden. Und zur übernächsten und zur... © Lut von Staegmann / WAZ FotoPool
Ihr lebt also Bochum, liebe CDU. Und der Wähler so: Hä? Aber immerhin schön, dass jeder von euch auf dem Plakat Platz gefunden hat.
Ihr lebt also Bochum, liebe CDU. Und der Wähler so: Hä? Aber immerhin schön, dass jeder von euch auf dem Plakat Platz gefunden hat. © Olaf Ziegler / WAZ FotoPool
Die Botschaft der Genossen in Gelsenkirchen lautet: Frank! Nicht verstanden? FRANK! Wenn es einer richten kann, dann er, Frank Baranowski. Da muss den Konkurrenten erst mal was besseres einfallen!
Die Botschaft der Genossen in Gelsenkirchen lautet: Frank! Nicht verstanden? FRANK! Wenn es einer richten kann, dann er, Frank Baranowski. Da muss den Konkurrenten erst mal was besseres einfallen! © Martin Möller / WAZ FotoPool
"Wachstum" und "Arbeit" steht auf deren Plakaten. Schon mal nicht schlecht, aber ein Schlagwort aus dem Standard-Repertoire der CDU fehlt noch, oder? © Martin Möller / WAZ FotoPool
Richtig:
Richtig: "Sicherheit", das haben dann die Essener Christdemokraten verwertet. © Gerrit Dorn
Und irgendwas mit Kindern. Geht ja auch immer.
Und irgendwas mit Kindern. Geht ja auch immer. © Kerstin Kokoska / WAZ FotoPool
Und wer sonst nichts zu sagen hat, der plakatiert seine Stars aus der ersten Reihe. Ob sie nun Angela Merkel heißen (in Oberhausen), ...
Und wer sonst nichts zu sagen hat, der plakatiert seine Stars aus der ersten Reihe. Ob sie nun Angela Merkel heißen (in Oberhausen), ... © Tom Thöne / WAZ FotoPool
...Sahra Wagenkneckt (in Gladbeck) oder...
...Sahra Wagenkneckt (in Gladbeck) oder... © Lutz von Staegmann / WAZ FotoPool
...Hans-Josef Winkler (in Wattenscheid. Wer? Ach, egal.
...Hans-Josef Winkler (in Wattenscheid. Wer? Ach, egal.
Das Essener Bürgerbündnis steht für die Extreme. Nicht unbedingt politisch, aber bei der Gestaltung seiner Plakate. Entweder, wie hier, Bleiwüste ohne Köpfe oder...
Das Essener Bürgerbündnis steht für die Extreme. Nicht unbedingt politisch, aber bei der Gestaltung seiner Plakate. Entweder, wie hier, Bleiwüste ohne Köpfe oder... © Gerrit Dorn
...alle Köpfe, derer man habhaft werden konnte. Dieses Motiv beinhaltet eine Spielidee: Wer zuerst vier nebeneinanderliegende Schnurrbärte findet, ruft Bingo! und gewinnt.
...alle Köpfe, derer man habhaft werden konnte. Dieses Motiv beinhaltet eine Spielidee: Wer zuerst vier nebeneinanderliegende Schnurrbärte findet, ruft Bingo! und gewinnt. © Gerrit Dorn
Nicht schlecht, liebe SPD, ihr könnt ja sogar kontextsensitive Plakatierung: Das Plakat zum bezahlbaren Wohnraum hängt an einem Baugerüst in Essen-Rüttenscheid.
Nicht schlecht, liebe SPD, ihr könnt ja sogar kontextsensitive Plakatierung: Das Plakat zum bezahlbaren Wohnraum hängt an einem Baugerüst in Essen-Rüttenscheid. © Gerrit Dorn
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Problem der Kontrolle und Sanktion von Nichtmitgliedern

"Unser bisheriges Parteienkonzept halte ich für überholt", erklärt Schwenk. "Parteien sollten sich mehr den Bürgern öffnen" - und nicht Themen und Pöstchenvergabe in ihren Reihen auskungeln. "Die Politik", sagt Schwenk, "scheint mir komplett abgekoppelt zu sein von den wirklichen Bedürfnissen der Menschen".

Für Prof. Tim Spier kann es für Parteien auch kontraprodukt sein, wenn sie vor Ort parteilose Kandidaten fördern - weil das "den Anreiz einer Parteimitgliedschaft wegnimmt". Auch Jens Walther sagt: "Man muss für Parteien auch immer bedenken, dass für deren Mitglieder genug selektive Anreize bestehen bleiben, um sich in der Politik zu engagieren". Sollten Parteien vor Ort zu stark auch Parteilose für öffentliche Ämter aufstellen - und würden solche Personen dann sogar gewählt, kann das im politischen Geschäft schwierig werden: "Dann stellt sich das Problem der Kontrolle und Sanktion von Nicht-Mitgliedern".