Essen. . Die Nato hat den militärischen Expansionsdrang in Moskau fahrlässig unterschätzt. Der Blick nach Osten zeigte: Keine Gefahr, nirgends. Russland? War da was? Man verlor aus den Augen, dass Frieden kein Selbstläufer ist. Das rächt sich nun in der Ukraine-Krise. Ein Essay.

Manchmal sind es die kleinen Nachrichten, die das große Ganze erklären: McDonald’s, so lief es in diesen Tagen über die Ticker, schließt seine drei Lokale auf der Krim. Mögen die Russen die ukrainische Halbinsel auch annektiert haben – auf Big Macs der amerikanischen Fast-Food-Kette müssen die Neu-Russen ab sofort verzichten. Das haben sie nun davon!

Die „Strafaktion“ des Weltkonzerns, offiziell mit Produktionsproblemen begründet, verdeutlicht die ganze Hilflosigkeit des Westens angesichts der russischen Expansion im Nachbarland Ukraine. Ein paar gesperrte Oligarchen-Konten und Reisebeschränkungen, für die die betroffenen Russen nur Spott übrig haben, dazu der halbherzige Versuch, Kreml-Chef Wladimir Putin politisch zu isolieren – zu mehr konnte sich der Westen nicht durchringen. Da ist man dankbar für die moralische Unterstützung aus dem Hause McDonald’s.

Auf dem falschen Fuß erwischt

Moskaus aggressives Vorgehen erwischt die Nato und den Westen insgesamt auf dem falschen Fuß. Während man die Gefahr von ganz anderer Seite erwartete – Iran, Nordkorea, Al-Kaida –, erwächst die Bedrohung von dort, wo sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gebannt schien. Richtig ist aber: Der Westen hat sich von Russland Präsidenten Putin einlullen lassen und die Warnsignale aus Moskau fahrlässig übersehen.

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In den Zeiten des Kalten Kriegs zwischen Ost und West hatte gerade im Frontstaat Deutschland die Angst vor einem neuen militärischen Konflikt hysterische Züge angenommen. In Schulen wurden die Schüler instruiert, wie sie sich bei einem Atomangriff zu verhalten hatten. „Der Russe kommt“ war kein flotter Spruch, sondern ernst gemeinte Mahnung. Von links hielt man dagegen: „Lieber rot als tot.“ Die Friedensbewegung sah während der Nachrüstungsdebatte den Feind eher in Washington als in Moskau.

Mit dem Niedergang der UdSSR und dem Zusammenbruch des Kommunismus Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre schien die militärische Bedrohung aus Moskau ein für allemal in sich zusammengefallen zu sein. Der Westen berauschte sich am Friedenswillen eines Michail Gorbatschow und registrierte belustigt die Eskapaden von dessen trinkfestem Nachfolger Boris Jelzin. Die einst gefürchtete Rote Armee konnte zeitweise nicht mehr das Benzin für ihre Panzer bezahlen. Der russische Bär hatte seinen Schrecken verloren.

Keine Gefahr, nirgends

Der Westen freute sich, bei den Verteidigungsausgaben sparen zu können. Kasernen wurden geschlossen, Truppenstärken gesenkt, Deutschland schaffte die Wehrpflicht ab. Der Blick nach Osten zeigte: Keine Gefahr, nirgends. Man verlor aus den Augen, dass Frieden kein Selbstläufer ist. Die vor allem vom bürgerlichen Lager vertretene These, wonach Abschreckung das beste Mittel gegen Krieg ist, geriet in Vergessenheit. Russland? War da was?

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Nato-Primus Amerika reduzierte seine militärische Präsenz in Europa und stürzte sich unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 in fragwürdige militärische Abenteuer im Irak und in Afghanistan, die zig Milliarden Dollar verschlangen.

Die Deutschen ihrerseits setzten sich immer mehr von den USA als Schutzmacht ab. War das Verhältnis schon in den Achtzigern während des Streits um die Stationierung von US-Raketen in der Bundesrepublik abgekühlt, so sackte die Temperatur nach Berlins Nein zum Irakkrieg 2002 vollends in den frostigen Bereich. Heute, nach dem NSA-Skandal, ist die Beziehung eher geschäftsmäßig als herzlich. Militärisch werden die USA in Europa längst nicht mehr als Schutzmacht und Bollwerk gegen den Osten gesehen. Ein Fehler?

Gleichzeitig arbeitete in Moskau Wladimir Putin zäh daran, Russland zu alter Stärke zu führen. Den Aufstand in Tschetschenien ließ er blutig niederschlagen, 2008 schickte er russische Truppen in die aufmüpfige Republik Georgien. Im Innern regierte Putin mit eiserner Hand gegen die Opposition, ließ politische Gegner einschüchtern und einsperren. Im Westen protestierte man pflichtgemäß – aber eine wirkliche Gefahr sah keiner.

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Moskau rüstet kräftig auf

Dabei hätte schon ein Blick auf die Verteidigungsausgaben Moskaus die Nato warnen müssen. Während die meisten der immer stärker unter Spardruck geratenen Staaten im Westen nur zu gern bei Panzern, Kampfjets und Raketen kürzten, rüstete Putin auf. Letztes Jahr verdrängte Russland die Briten von Platz 3 der Staaten mit den höchsten Verteidigungsausgaben hinter den USA und China. Bis 2016 will Moskau seinen Wehr-Etat von aktuell 50 auf dann 71 Milliarden Euro aufstocken.

Musste der Westen nicht zumindest ahnen, dass Putin seine riesige Armee nicht allein für Manöver mit modernsten Waffen ausstattete? Und hatten die Nato-Länder nicht doch zu leichtfertig dem Militär die Gelder gestrichen? „Sicherheit gibt es nicht beim Discounter“, ätzte dieser Tage die FAZ.

Offene Flanke im Osten

Vor allem die östlichen Nato-Mitglieder wie Polen oder die baltischen Staaten, die ihre bitteren Erfahrungen mit dem Expansionsdrang Moskaus gemacht haben, warnen nach Putins Krim-Coup immer nachdrücklicher vor einer offenen Ost-Flanke des Atlantischen Bündnisses.

Putin seinerseits hat erkannt: Viele Russen leiden noch immer unter dem Verlust des Supermacht-Status’ nach dem Ende der Sowjetunion und sind empfänglich für die Testosteron-gesättigten Sprüche des Polit-Machos im Kreml. Im Innern hat er den Rücken frei. Und der Präsident fühlt sich nach dem Eingreifen in der Ukraine wohl so stark wie nie – ob mit oder ohne amerikanische Big Macs.