Kiew/Moskau. Trotz des angedrohten Anti-Terror-Einsatzes halten pro-russische Separatisten weiterhin Regierungsgebäude in der Ostukraine besetzt. Ein Ultimatum aus Kiew war am Morgen verstrichen. Unterdessen haben die EU-Außenminister Milliardenhilfen und Zoll-Erleichterungen beschlossen.

Die Europäische Union verschärft wegen der Ukraine-Krise ihre Sanktionen gegen Russland. Die Außenminister beschlossen am Montag in Luxemburg, die Liste der von Kontensperrungen und Einreiseverboten betroffenen Personen zu erweitern. Dies sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. EU-Experten sollen jetzt Namen vorschlagen, auf die Sanktionen ausgeweitet werden sollen. Ashton machte keine Angaben zur voraussichtlichen Zahl der Betroffenen. Bisher hat die EU in zwei Schritten insgesamt 33 Russen und Ukrainer mit Kontensperrungen und Einreiseverboten belegt. Zu neuen Wirtschaftssanktionen gab es keine Entscheidung der Minister.

EU-Außenminister beschließen Finanzhilfe von einer Milliarde Euro

Zuvor hatten die EU-Außenminister eine Finanzhilfe in Höhe von einer Milliarde Euro für die vom Staatsbankrott bedrohte Ukraine beschlossen. Sie stimmten auch einer Streichung fast sämtlicher Zölle für Waren aus der Ukraine zu. Die Maßnahmen sollen die wirtschaftliche Lage des Landes stabilisieren.

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Die Finanzhilfe von einer Milliarde Euro soll zusammen mit bereits früher beschlossenen 610 Millionen Euro in den Haushalt der Ukraine fließen. Voraussetzung dafür ist jedoch die Einleitung politischer und wirtschaftlicher Reformen. Mit dem weitreichenden Verzicht auf Einfuhrzölle wird ein Teil des geplanten Assoziierungsabkommens vorweggenommen. Unter anderem verzichtet die EU auf 95 Prozent der Zölle auf Industrieprodukte und auf 82 Prozent der Zölle auf Agrarerzeugnisse.

Pro-russische Separatisten nehmen weitere Städte ein

Pro-russische Aktivisten halten in der Ostukraine weiter Gebäude besetzt. Die von der Regierung in Kiew angedrohte Offensive gegen die bewaffneten Gruppen bleibt zunächst aus, obwohl sie ein bis Montagmorgen gesetztes Ultimatum hatten verstreichen lassen. "Wir bleiben auf unseren Posten", sagte der Sprecher der Aktivisten in Lugansk, Alexej Tschmulenko, am Montag. Die Gruppe verfüge über genügend Munition, Wasser und Nahrungsmittel. Die prowestliche Führung in Kiew hatte die Separatisten aufgefordert, bis zum Morgen besetzte Verwaltungsgebäude in der russisch geprägten Region zu räumen und Waffen abzugeben. "Keiner von uns gibt auf", sagte Tschmulenko der Agentur Interfax.

Die Aktivisten und auch Moskau fordern unter anderem eine Föderalisierung des Landes, um etwa russischsprachigen Regionen in der Ukraine deutlich mehr Autonomie zuzusichern. Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow schloss ein Referendum über diese Frage nicht aus. Die Abstimmung könnte am selben Tag wie die Präsidentenwahl am 25. Mai stattfinden, sagte er in Kiew. "Ich bin überzeugt, dass die klare Mehrheit der Ukrainer für eine unteilbare, unabhängige und demokratische Ukraine stimmen würde", betonte er.

Separatisten glauben Slawjansk nicht

Separatisten in der Stadt Slawjansk zeigten sich aber skeptisch. "Turtschinow will nur Zeit gewinnen, um Truppen hierher zu verlegen. Wir glauben ihm nicht und werden über diese Region selbstständig entscheiden", sagte Aktivistensprecher Nikolai Solnzew. Die bewaffneten Kämpfer seien "in höchster Alarmbereitschaft". In der ostukrainischen Stadt Gorlowka brachten Aktivisten bei einem Sturm auf die Polizeizentrale ein weiteres Gebäude in ihre Gewalt.

Die proeuropäischen Kräfte in der Ukraine geben Russland die Schuld an der instabilen Lage. Die Führung in Moskau hat sich bisher nicht distanziert von den Separatisten in der früheren Sowjetrepublik. Für Donnerstag sind in Genf Gespräche zwischen Russland, den USA, der Ukraine und der EU geplant, bei denen Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts ausgelotet werden sollen.

Russland weist Vorwürfe zurück, Lage bewusst aufzuheizen 

Russland wies die Vorwürfe einer Aufheizung der Lage in der Ostukraine erneut zurück. "Es gibt dort keine Agenten - weder vom (russischen Militärgeheimdienst) GRU noch vom (Inlandsgeheimdienst) FSB", sagte Außenminister Sergej Lawrow der Agentur Interfax zufolge in Moskau. "Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine ein, das widerspricht unseren Interessen", behauptete er.

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Ukrainische Behörden hatten nach eigenen Angaben russische Agenten festgenommen. "Wenn es Fakten gibt, dann doch nur keine Scheu, diese zu präsentieren", forderte Lawrow. Dem Westen warf er vor, mit zweierlei Maß zu messen: "Als es Gewalt auf dem Maidan (in Kiew) gab, die mit vielen Dutzenden Toten endete, wurde das Demokratie genannt. Aber die friedlichen Proteste im Süden und Osten werden jetzt Terrorismus genannt."

Interimspräsident Turtschinow hatte "Anti-Terror-Einsatz" angedroht

Der ukrainische Interimspräsident Turtschinow hatte mit einem "groß angelegten Anti-Terror-Einsatz" unter Beteiligung der Streitkräfte gedroht, um die Unruhen zu beenden. Mitten in solchen Plänen tauschte er überraschend den Leiter des Einsatzstabs aus. Beobachter sprachen von chaotischen Zuständen und demoralisierten Sicherheitskräften.

Das Innenministerium in Kiew berief 350 Reservisten der neu gegründeten Nationalgarde zum Einsatz in der Ostukraine ein. Das Bataillon sollte noch am Montag nach Slawjansk verlegt werden. Dort trafen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein. "Wir wollen in mehreren Städten prüfen, was dort genau geschieht", sagte einer der Männer dem TV-Sender 24. In Slawjansk sollen am Vortag bei Schusswechseln vier Menschen getötet worden sein. Eine offizielle Bestätigung gab es nicht. (dpa)