Donezk. . Prorussische Rebellen in der ostukrainischen Millionenstadt haben eine eigene Republik ausgerufen. Es sieht aus, als wiederhole sich dort das, was schon auf der Krim passierte: erst Unabhängigkeit, dann Anschluss an Russland. Aber viele der Krieger mit den Skimasken sind gar keine Separatisten.

Es sieht aus, als wolle Donezk den Kiewer Maidan wiederholen. Hinter Barrikaden aus Sandsäcken und Autoreifen stapeln sich Pflastersteine, die Molotow-Cocktails sind in Wein- und Kognakflaschen abgefüllt, dazwischen schlendern Krieger mit Skimasken umher.

Anfang der Woche hat eine Menschenmenge das Gebietsparlament der ostukrainischen Millionenstadt Donezk gestürmt und die „Unabhängige Volksrepublik Donezk“ ausgerufen. Hier wird „Russland, Russland“ skandiert, die prowestlichen Revolutionäre der ukrainischen Hauptstadt Kiew dagegen werden beschimpft.

„Als Schlachtruf brüllen sie ,Ruhm der Ukraine’“, sagt der gelernte Masseur Sergei. „Das haben auch die ukrainischen Faschisten geschrien, die 1941 in Winniza meinen Urgroßvater im Brunnen ertränkten, weil er Jude war.“

Mal 700, mal 2000 Köpfe

Sergei ist einer von etwa 500 Kämpfern, die das Gebietsparlament besetzt halten – die Streitmacht der „Unabhängigen Republik Donezk“, deren Anhängerschaft draußen auf dem Platz mal 700, mal 2000 Köpfe zählt.

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Im elften Stockwerk tagt die provisorische Regierung. Alle haben sich daran gewöhnt, dass der weißbärtige Wladimir Makowitsch, einer der sechs Direktoren der Republik, zu Beginn jeder Sitzung Gefahren ankündigt: Mal droht eine Gegendemonstration bezahlter Studenten, mal meldet er eine anrückende ukrainische Panzerkolonne.

Aber heute fällt eine kleine Frau mit wirrem grauen Haar Makowitsch ins Wort: „Ich mache als Pensionärin und ehemalige Lehrerin für Wissenschaftlichen Kommunismus eine Erklärung von großer Wichtigkeit: Im Park neben dem Gebäude haben sie heute Nacht drei Betrunkene gefunden.“

"Verblendete Rentner, Karikatur des "Maidan"

Randerscheinungen. Die ukrainischen Medien stellen die „Republik“ als wütende Ansammlung verblendeter Rentner und Berufsschläger dar, als Karikatur des demokratischen Kiewer Maidans. Aber die meisten Teilnehmer des Donezker Anti-Maidans sind viel friedfertiger und vernünftiger als ihr Ruf – und nicht wirklich separatistisch.

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„Die russischen Flaggen hier bedeuten nicht, dass wir nach Russland wollen“, sagt die Französischlehrerin Irina, die vor den Barrikaden steht. „Sie sind die Antwort auf die Europa-Flaggen auf dem Maidan. Warum dürfen wir hier nicht auf Unterstützung von außen hoffen?“ Sie traue den Politikern und Parteien in Kiew nicht.

„Am besten die Weltgemeinschaft, meinetwegen die USA, besetzen die Ukraine für zwei Jahre, gemeinsam mit der EU und Russland, und bilden eine Regierung nur aus Fachleuten, ohne Politiker.“ Solche Argumente wurden schon auf dem Kiewer Maidan laut. Auch dort herrschte das Verlangen nach einem völligen politischen Neustart.

Die Forderung: Föderalisierung der Ukraine

Und wenn die Donezker Aufständischen „Volksabstimmung, Volksabstimmung“ rufen, dann denkt ein Großteil von ihnen nicht an Beitritt zu Russland, sondern an die Föderalisierung der Ukraine. „Wir wollen, dass unsere Steuern nicht in Kiew verschwinden, sondern hier bleiben“, sagt der Bergarbeiter Gennadi.

Konflikt um die Ukraine

Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen.
Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen. © REUTERS
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol.
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol. © REUTERS
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt.
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt. © REUTERS
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye.
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye. © REUTERS
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya.
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya. © AFP
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs.
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs. © REUTERS
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild.
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild. © REUTERS
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer.
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer. © AFP
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde.
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde. © dpa
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine.
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine. © dpa
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol.
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol. © Reuters
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens.
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens. © AFP
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten.
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten. © AFP
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen.
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen. © dpa
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen.
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen. © Reuters
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll.
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll. © REUTERS
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. © AFP
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind.
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind. © AFP
"Verschwinde, Putin!" ist die Botschaft einer ukrainischen Frau bei derselben Demonstration. © dpa
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf.
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf. © dpa
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration.
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration. © AFP
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren.
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren. © AFP
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ...
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ... © REUTERS
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift "Die Krim ist ukrainisch". © REUTERS
"Wir sind jetzt alle Ukrainer" - auch in Lettlands Hauptstadt Riga fühlt man mit den Ukrainern. © dpa
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren.
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren. © AFP
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht "Wir sind keine Handvoll Menschen, sondern eine vereinte Nation!". © AFP
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort.
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort. © dpa
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In der eine Million Einwohner zählenden Stadt sind die Separatisten sowieso in der Minderheit. Nach einer Meinungsumfrage des Donezker Instituts für Sozialforschungen wollen nur 18,2 Prozent der Bürger den Anschluss an Russland, 4,7 Prozent einen eigenen Staat.

Beobachter glauben, der russische Geheimdienst stehe hinter der „Republik“, deren Hilferufe Anlass zu einem Einmarsch in der Ostukraine geben könnten. „Die Aufgabe dieser Republik ist es, Chaos in Donezk vorzutäuschen“, sagt der Politologe Sergei Tkatschenko.

Vielleicht versuche Russland, Donezk nach ähnlichem Szenario wie auf der Krim zu annektieren. Aber vieles spreche auch dafür, dass die Donezker Wirtschaftselite die „Republik“ unterstütze, um der Staatsmacht in Kiew mehr Zugeständnisse abhandeln zu können.

Ob Russland uns überhaupt will?

Wladimir Makowitsch, Mitglied des Direktoriums der „Volksrepublik“ und pensionierter Diensthundetrainer, lächelt verschmitzt bei der Frage, ob er seine „Volksrepublik“ als Brücke zur Vereinigung mit Russland betrachte? „Wir wissen ja gar nicht, ob Russland uns will.“