Berlin. . Russland hat seine Truppen an der Grenze zur Ukraine verstärkt. Die Nato fordert den Rückzug, will aber gleichzeitig selbst Flagge zeigen. Jetzt wollen die Nato-Außenminister über mehr Militärpräsenz im Osten beraten. Wie weit soll sie gehen?
Die Deutschen sind gegen den Krieg. 77 Prozent lehnen ein militärisches Eingreifen in Osteuropa ab – selbst, wenn Russland seine Truppen in andere Teile der Ukraine schicken sollte. 50 Prozent sagen auch Nein zu einer stärkeren Nato-Präsenz an den russischen Grenzen.
Doch so denken nach den Daten der neuen Forsa-Umfrage eher die Älteren. 54 Prozent der 14- bis 29-jährigen, überraschend auch ein großer Teil grüner Wähler, halten Muskelspiele für nötig und sinnvoll.
Warum reagieren Jung und Alt so gespalten? Was nahe liegt: Wer den Kalten Krieg bewusst erlebte, dem steckt die Kriegsangst noch in den Knochen – die Konfrontation zwischen Ost und West ging erst 1990 zu Ende. „Der Russe kommt“ , hieß es damals.
Zehn Minuten Vorwarnzeit
Mancher erinnert sich an die Doktrin der massiven militärischen Vergeltung und die zehn Minuten Vorwarnzeit vor dem jederzeit zu befürchtenden Atomschlag. Die Älteren haben den an- und abschwellenden Ton noch im Ohr, der beim Probealarm der Luftschutzsirenen aufjaulte.
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Die Angst beherrschte die Wirtschaftswunder-Bürger. Schüler übten im Unterricht das Verhalten beim nuklearen Angriff: Wegducken, Tasche über den Kopf. Der Staat zahlte Häuslebauern Zuschüsse zum Bau von Atombunkern. Mütter lagerten im Keller eingewecktes Obst für den Fall, „dass es Krieg gibt“. Der Pfarrer betete von der Kanzel: „Gott, bewahre uns den Frieden in Berlin“.
Es gab auch so etwas wie ein Arrangement mit den Verhältnissen. Etwa zur Zeit der Ostpolitik. Plötzlich standen „Verständigung“ und „Annäherung“ im Mittelpunkt. Aber nach wie vor gelangte man nach West-Berlin nur durch die drei Luftkorridore der Alliierten mit der amerikanischen Linie PanAm – dann und wann begleitet von sowjetischen Abfangjägern. Nur ungern stiegen die Menschen weiter in die „Interzonenzüge“, um Verwandte „drüben“, in der DDR, zu besuchen. Dort galt ja der Schießbefehl.
Zehntausende Sprengköpfe
Grenzübergänge wie Helmstedt-Marienborn, der stacheldrahtbewehrte Ost-Berliner Bahnhof Friedrichstraße mit seinen beklemmenden Einzelzellen zur Passkontrolle – jeder DDR-Besucher kannte die Orte. Abfertigungen dauerten bis zu 40 Minuten. Vopos schraubten Zug-Dächer auf, um Flüchtlinge zu enttarnen.
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Schon drei Jahre nach dem gemeinsamen Sieg über Hitler-Deutschland hatten sich der Ostblock unter Führung der Sowjetunion und der USA-geführte Westen waffenstarrend gegenüber gestanden. Mitte der 70er-Jahre verfügten Warschauer Pakt und Nato jeweils über 30.000 bis 40.000 Atomsprengköpfe, über Tausende Langstrecken-Bomber und -Raketen.
200.000 US-Soldaten auf deutschem Boden
Zwar war der Westen bei Zahl und Einsatzfähigkeit dieser Waffen fast immer überlegen. Dafür hatte Moskau mehr Panzer. In Deutschland, der Nahtstelle der geteilten Welt, standen den 200.000 amerikanischen GIs doppelt so viele Sowjetsoldaten gegenüber.
Die Zeitgeschichte kennt Höhepunkte der 40-jährigen Rivalität: Koreakrieg und Ungarnaufstand, der Mauerbau, Moskaus Einmarsch in die CSSR, der Vietnamkrieg der USA. Nichts aber hat die Ängste so geprägt wie die 13 langen Tage im Herbst 1962: In der Kuba-Krise wurde der Start der Atomraketen auf beiden Seiten zur Frage von Minuten.
Millionen bangten vor den Fernsehern, wenn Karl-Heinz Köpcke in der Tagesschau von der Krise berichtete, etwa über Moskaus grimmigen Außenminister Gromyko – und vom tiefen Aufatmen am 28. Oktober 1962: Die Sowjets hatten nachgegeben und zogen ihre Raketen aus Kuba ab.
Andropows Fehleinschätzung
Viele Geheimnisse des Kalten Krieges sind nicht gelüftet. Nach 1990 öffneten sich erste Archive. Falsche Radarbilder, missverständliche Raketentests und Aufklärungsflüge provozierten immer wieder gefährliche Situationen.
Konflikt um die Ukraine
Im Januar 1959 stationierte Kreml-Chef Chruschtschow in der DDR Kurzstrecken-Atomraketen, die Westeuropas Großstädte binnen Minuten zerstören konnten. Siebe Tage später baute er sie wieder ab. Davon erfuhr damals kein Journalist.
Wohl gefährlicher als die Kuba-Krise war das Finale im Herbst 1983: Kreml-Chef Juri Andropow missverstand das US-Manöver „Able Archer“ als geplanten Enthauptungs-Schlag gegen die Sowjetunion. Erst ein Anruf des US-Präsidenten und die Analysen des eigenen KGB konnten ihn überzeugen, den nuklearen „Gegenschlag“ abzublasen.
Sechs Jahre später fiel die Berliner Mauer.