Essen. . Die Synthetische Biologie ist ein rasant wachsender Wissenschaftszweig – und er weckt große Hoffnungen. Ziel ist die Herstellung neuer Lebensformen mit passgenauen Eigenschaften, die sie durch eingeschleuste künstliche Erbeigenschaften erhalten: Leben aus dem Gen-Baukasten. Das weckt auch Ängste.
So könnte die Welt in wenigen Jahrzehnten aussehen: Künstliche Mikro-Organismen stellen Impfstoffe her, vertilgen Ölteppiche im Meer, erzeugen Medikamente und Impfstoffe, binden Treibhausgase, produzieren Biokraftstoffe oder neue Materialien. Die Synthetische Biologie – ein junger, sich rasant entwickelnder Wissenschaftszweig – weckt große Hoffnungen. Ziel ist die Herstellung neuer Lebensformen mit passgenauen Eigenschaften, die sie durch eingeschleuste künstliche Erbeigenschaften erhalten: Leben aus dem Gen-Baukasten.
Maßgeschneiderte Lebewesen
Ob Züchtung von Getreidesorten oder Nutztiere – schon immer formt der Mensch die Natur für seine Zwecke. Was sich als vorteilhaft erweist, wird vermehrt. Doch jetzt sind Forscher dabei, die Sache umzudrehen: Organismen werden nicht mehr mühsam herangezüchtet, sondern für einen bestimmten Zweck zusammengebaut.
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Ein großer Schritt auf diesem Weg gelang jetzt Jef Boeke von der Johns Hopkins University in Baltimore und seinen Kollegen. Sie erzeugten erstmals einen kompletten Organismus mit künstlichen Erbgut-Teilen. Dazu haben sie ein Chromosom der Hefe aus seinen Grundbausteinen nachgebaut und in eine lebende Zelle eingesetzt. Diese überlebte die Prozedur und vermehrte sich anschließend.
Erster Chromosomen-Nachbau
Als Chromosom werden die Strukturen in Zellen bezeichnet, die die Gene – also die Erbinformationen – des Lebewesens enthalten. Menschen verfügen über 23 Chromosomen-Paare, die gewöhnliche Bäckerhefe, mit denen die Forscher experimentierten, über 16.
Mit dem Erfolg von Boeke und seinem Team ist der erste funktionstüchtige Nachbau eines kompletten Chromosoms bei einem Lebewesen mit Zellkern geglückt, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“. Denn die Hefe besitzt, wie Pflanzen und Tiere auch, einen Zellkern und unterscheidet sich dadurch von den einfacher aufgebauten Bakterien, bei denen bereits vor einigen Jahren die Einschleusung künstlicher Genbausteine gelang.
Wozu der ganze Aufwand?
Die Bäckerhefe wird nicht nur für Brot und Bier verwendet. Der Mikro-Organismus spielt bereits heute eine große Rolle in der biotechnischen Industrie, etwa um Medikamente gegen Malaria herzustellen, Biotreibstoffe und andere Chemikalien. Bislang aber ist die Ausbeute gering. Das könne sich ändern, wenn sich in Zukunft das komplette Erbgut der Hefe im Labor zusammenbauen ließe, so die Forscher.
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Das Chromosom künstlich nachzubauen war den Forschern daher nicht genug. Sie veränderten an vielen Stellen des Erbgutstrangs zusätzlich die Gene, um Einfluss auf die Funktion des Organismus zu nehmen. Denn darum geht es: einen lebenden Organismus herzustellen, der genau das tut, was man will. Experten vergleichen dies mit einer neuen Software, die auf einen Computer aufgespielt wird. Sobald die Zelle ein neues genetisches Programm erhält, spielt sie es automatisch ab. Im Prinzip arbeiten die Biologen an Programmen für neue Lebensformen.
Pflanzen- oder Tiergenome
„Wir haben über 50 000 Veränderungen vorgenommen und unsere Hefe lebt immer noch. Das ist bemerkenswert“, sagte Boeke. Die Arbeit der Wissenschaftler zeigt zum ersten Mal, dass die Methode auch mit komplexeren Lebewesen möglich ist. Schon denken sie daran, Pflanzen- oder Tiergenome im Labor zu erschaffen.
„Neue Pflanzen wären der nächste Schritt“, sagt der Freiburger Bio-Ethiker Joachim Boldt. „Nicht die matschfeste Tomate, sondern eine neue Frucht mit vielen neuen Eigenschaften.“
Welche Risiken birgt die Methode?
Diese Möglichkeiten wecken aber nicht nur Hoffnungen auf neue Medikamente und Produkte, sie werfen auch Fragen auf: „Wie verhalten sich die Organismen, wenn sie freigesetzt werden? Können sie sich unkontrolliert verbreiten, verdrängen sie andere Lebensformen? Solche Fragen werden dringlicher werden“, glaubt Boldt. „Die Hoffnungen sind groß und die Forschung schreitet schnell voran“, sagt er.
Müssen wir uns also daran gewöhnen, dass Leben zum Objekt der Informations-Gestaltung, des Genom-Designs wird? Boldt: „Wir sollten darüber diskutieren, welche Ergebnisse wünschenswert sind und welche nicht.“ Die Debatte über Chancen und Risiken der synthetischen Biologie, sie hat noch nicht einmal begonnen.