Rotterdam. . Mit Hilfe von DNA-Spuren wollen Wissenschaftler Phantombilder erstellen. Was in Deutschland noch nicht erlaubt ist, wird in den Niederlanden bereits praktiziert: DNA-Aussagen über Augen- und Haarfarbe sowie Herkunft fließen in die Arbeit der Polizei mit ein. Sie geben den Tätern ein Gesicht.
Wenn die Polizei nicht mehr weiter weiß, beginnt die Arbeit von Prof. Manfred Kayser. Der Berliner Genetiker, der das Institut für Forensische Molekularbiologie an der Erasmus-Universität Rotterdam leitet, hat verschiedene DNA-Tests entwickelt, mit denen man allein anhand von Genen die Augen- und Haarfarbe sowie das ungefähre Alter eines unbekannten Täters bestimmen kann. Die Forscher arbeiten daran, dass Augenzeugenberichte künftig überflüssig werden. Irgendwann könnte es gar rein biologisch erstellte Phantombilder geben.
„Wir wissen, dass Augenzeugenberichte, die aus der Erinnerung konstruiert werden, nur selten genau und zudem oft voll von Vorurteilen sind“, erklärt Kayser. Die Gene sind hingegen eindeutig. Bisher kann man die Methode in Deutschland allerdings nur im „Tatort“ beobachten. In Deutschland dürfen DNA-Spuren nur zur Identifikation und zur Bestimmung des Geschlechts verwendet werden. In den Niederlanden ist man weiter, hier darf DNA auch forensisch untersucht werden, um Hinweise, etwa auf die Herkunft des Täters zu geben. Es wurde eigens ein Gesetz erlassen, das so genannte investigative DNA-Tests in Ermittlungen erlaubt.
Y-Chromosom kann Aufschluss über Herkunft des Täters geben
Als 1999 im niederländischen Friesland ein Mädchen vergewaltigt und brutal ermordet wurde, war die Aufregung groß. Von einem Täter fehlte jede Spur, ein DNA-Abgleich der Tatortspuren mit der Verbrecherkartei brachte keinen Treffer. Die Nachbarn hatten schnell die asiatischen Bewohner eines nahe gelegenen Asylbewerberheims im Verdacht. Normalerweise wäre der Fall wegen mangels Beweisen in der Schublade gelandet. Doch ein Labor machte einen, damals noch illegalen, investigativen DNA-Test. „Eine winzige Sequenz auf dem Y-Chromosom kann Aufschluss darüber geben, welcher geografischer Herkunft ein Täter bzw. dessen Vater ist, ob er also aus Asien, Europa oder Afrika stammt“, erklärt Kayser. Und siehe da: Der mögliche Täter hatte keinen asiatischen Hintergrund, seine Vorfahren stammten offenbar aus Europa.
Ein niederländischer Staatsanwalt erkannte daraufhin das Potenzial solcher Ermittlungen. Die Gesetzgebung wurde entsprechend angepasst. Das Niederländische Forensische Institut (NFI), das dem Justizministerium unterstellt ist, beauftragte die Uni Rotterdam deshalb Grundlagenforschung zu betreiben. „Forensic DNA Phenotyping” heißt die Methode, die eine Weiterentwicklung des klassischen DNA-Tests ist und die Polizeiarbeit künftig revolutionieren könnte.
Stellen die Ermittler Blut, Spucke, Haare oder Sperma am Tatort sicher und die DNA ist bisher nicht registriert, werden die Spuren zu Kayser ins Institut gebracht oder direkt vom NFI untersucht. Die niederländischen Ermittler beziehen die Forschungsergebnisse direkt in die Arbeit ein.
Der Mensch besteht aus rund 25 000 Genen. Die sechs passenden herauszuarbeiten, die maßgeblich die Augenfarbe bestimmen, ist Sisyphusarbeit. Um dies zu erreichen, haben Kayser und sein Team die Genome von tausenden Menschen untersucht, von denen ihnen die Augenfarbe bekannt war. So wissen sie nun, wie man die Sequenzen entschlüsseln muss.
Die Lösung steckt in einem kleinen Röhrchen
Des Rätsels Lösung steckt in Kaysers Labor in einem kleinen Röhrchen. „Erst einmal waschen wir alle anderen Bestandteile einer biologischen Spur heraus, um die DNA zu gewinnen. Dann suchen wir gezielt nach DNA-Markern, die auf die Augen- und Haarfarbe hinweisen.“ Mit Hilfe von statistischen Modellen wird anschließend aus den DNA-Daten die Wahrscheinlichkeit für Augen- und Haarfarben errechnet. Braune und blaue Augen können akkurat bestimmt werden, hat jemand allerdings braune Augen mit grünen Sprenkeln kommt der derzeit verfügbare Test an seine Grenzen. Bei der Haarfarbe sind sich die Experten bei schwarzen, braunen und roten Haaren recht sicher. Bei Blond wird es schwieriger, „denn im Alter können insbesondere blonde Haare nachdunkeln. Es gibt Menschen, die so wie ich selbst als Kind hellblond waren und im Erwachsenenalter eher dunkelblond oder braun sind“, nennt Kayser ein Beispiel. Der bisherige Test gibt indes Aufschluss, wie die Haarfarbe im Kindesalter gewesen ist. Um Gesichtsformen in der Zukunft aus DNA-Spuren herauslesen zu können, suchen die Rotterdamer Spezialisten im Rahmen eines internationalen Konsortiums nach Genen, die das Gesicht ausmachen. Fünf haben sie bereits gefunden. Auch an der DNA-Vorhersage von Körpergröße wird geforscht.
Kritik von deutschen Datenschützern
Manfred Kayser hält übrigens nicht viel von der Kritik der deutschen Datenschützer: „Wir untersuchen äußerlich-sichtbare Merkmale. Das Aussehen eines Menschen ist nicht privat, jeder der mich gesehen hat, kennt meine äußerlich-sichtbaren Merkmale.“
Vor kurzem, mehr als zehn Jahre nach dem Mord, wurde der Mörder des Mädchens schließlich gefasst. Das Labor hatte der Polizei eine investigative DNA-Spur geliefert. Deshalb waren Haar- und Augenfarbe sowie die Herkunft bekannt. Daraufhin wurden Männer aus der Region gebeten, eine Speichelprobe abzugeben. Normalerweise rekonstruiert die Polizei dann über die männlichen Verwandten, die das gleiche DNA-Profil wie der Täter haben, wer die Tat begangen haben muss. In diesem Fall hatte die Polizei Glück – und fand den Mann mit der herkömmlichen Methode. Der Täter kam selbst zum DNA-Test und lieferte den Ermittlern die Beweise frei Haus.