Essen. Die große Koalition hat sich geeinigt: Der Mindestlohn kommt - und zwar mit wenigen Ausnahmen. Nur für Beschäftigte unter 18, Ehrenamtliche und Langzeitarbeitlose greift die Regelung nicht. Vor allem in NRW wird das Projekt starke Auswirkungen haben. Viele Unternehmen befürchten die Folgen.
Beim geplanten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde sind nur wenige Ausnahmen für junge Leute unter 18 Jahren, Ehrenamtliche und Langzeitarbeitslose vorgesehen. Das teilte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Mittwoch in Berlin mit, nachdem sie den Entwurf in die Ressortabstimmung gegeben hatte.
Demnach sind Langzeitarbeitslose für ein halbes Jahr vom Mindestlohn ausgenommen, wenn sie einen neuen Job annahmen. "Wir wollen, dass Langzeitarbeitslose keine Nachteile haben", sagte Nahles. Für sie sollen Arbeitgeber Lohnkostenzuschüsse erhalten. Teile der Union hatten auf ein höheres Startalter für den Mindestlohn als 18 Jahre gepocht. Die SPD wollte zunächst praktisch keine Ausnahmen bei ihrem Lieblingsprojekt zulassen.
Starke Kritik bei den Arbeitgebern
Am Vorabend hatten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel zu dritt über letzte Details geeinigt. Gabriel sagte: "Dass der Mindestlohn bald im Gesetzblatt steht, ist ein gemeinsamer Erfolg der SPD, der Gewerkschaften und auch der Union." Kein Arbeitnehmer in Deutschland werde künftig unter 8,50 Euro verdienen. "Das betrifft vier Millionen Menschen", so Gabriel.
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Das Vorhaben, die Aufnahmen für den Mindestlohn stark zu beschränken, stieß bei den Arbeitgebern auf heftige Kritik. "Das wäre eine verhängnisvolle Regelung - mit großen Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt, vor allem in strukturschwachen Regionen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Reinhard Göhner. Vor allem jungen Menschen ohne Ausbildung und Langzeitarbeitslose "werden zu 8,50 Euro keine Arbeit finden". Er hatte deshalb Ausnahmen "mindestens bis zum 21. Lebensjahr" vorgeschlagen. Er wies darauf hin, dass 60 Prozent der jungen Leute ihre Ausbildung erst mit 18 oder 19 Jahren starteten.
Hatz IV trotz Mindestlohns
Hunderttausende Arbeitnehmer wären nach einem Zeitungsbericht trotz des geplanten Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde weiter auf Hartz IV angewiesen. 41 Prozent oder etwa 740 000 der alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger bräuchten selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung ergänzende Grundsicherungsleistungen, weil ihre Wohnkosten mehr als 345 Euro monatlich betragen, schreibt die "Passauer Neue Presse" (Mittwoch) unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit. Die Linksfraktion im Bundestag sieht darin den Beleg für ihre Forderung nach einem höheren Mindestlohn als 8,50 Euro in der Stunde.
Studie geht von sechs Millionen Betroffenen aus
Vom allgemeinen Mindestlohn könnten nach Berechnungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen bundesweit sogar mehr als sechs Millionen Beschäftigte profitieren. Diese Studie wurde am Mittwoch in Düsseldorf vorgestellt. Demnach verdienten 2012 in Deutschland rund 6,6 Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. In Nordrhein-Westfalen waren es 1,3 Millionen Beschäftigte - mehr als in jedem anderen Bundesland, wie Instituts-Direktor Professor Gerhard Bosch betonte. Die Zahlen schließen alle abhängig Beschäftigten ohne Ausnahmen ein, aber keine Auszubildenden. Kritik kam von den Unternehmern in NRW.
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Der Deutsche Gewerkschaftsbund NRW setzt sich für eine möglichst umfassende Regelung ein: Klammere man Personengruppen oder Branchen aus, drohe ein "unübersehbarer Flickenteppich", warnte Landeschef Andreas Meyer-Lauber. Arbeitnehmer unter 18 Jahren auszuschließen, sei eine "unzulässige Altersdiskriminierung". Nur bei Azubis, Praktikanten und Ehrenamtlichen hält der NRW-DGB weniger als 8,50 Euro für tolerabel.
Mindestlohn wird in NRW starke Auswirkungen haben
Weil eine gesetzlich verbindliche Lohnuntergrenze bisher fehlte, sei der Niedriglohnsektor "stark nach unten ausgefranst", schilderte Bosch. "Die Einführung eines Mindestlohns ab 2015 von 8,50 Euro ist angesichts der tiefen Erosion des deutschen Lohnsystems eine der größten Sozialreformen der Nachkriegszeit." Sie werde auch etwas mehr Lohn-Gerechtigkeit unter den Geschlechtern bringen. Aktuell seien erheblich mehr Frauen (30,6 Prozent) in NRW Geringverdiener als Männer mit 16,6 Prozent. Geringe Bezahlung treffe zudem häufig junge Leute bis 24 Jahre.
Der Mindestlohn wird laut Untersuchung für einige Branchen und Beschäftigungsgruppen in NRW besonders spürbare Auswirkungen haben. Das sind Bosch zufolge Gastgewerbe, Einzelhandel und Dienstleistungen für Unternehmen einschließlich Leiharbeit - mit einem hohen Niedrigverdiener-Anteil.
Auch der Staat soll profitieren
Die Unternehmensverbände NRW nannten einen ausnahmslosen flächendeckenden Mindestlohn "sozial- und arbeitsmarktpolitisch grundfalsch". Er schade den Schwächsten am Arbeitsmarkt, kritisierte der Hauptgeschäftsführer von "unternehmer nrw", Luitwin Mallmann. Langzeitarbeitslose oder Menschen, die sich etwas hinzuverdienen wollten, würden ihrer Chancen auf einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt beraubt, wenn der verordnete Einstiegslohn höher sei als die Produktivität ihrer Arbeit.
Bosch betonte dagegen, er erwarte keine negativen Auswirkungen durch den Mindestlohn und berief sich auch auf neuere Forschung in den USA und Großbritannien. Geschäftsmodelle, die auf Dumpinglöhne setzten, könnten künftig allerdings nicht mehr funktionieren. Nach Einschätzung von Meyer-Lauber ist der Mindestlohn auch wirtschaftspolitisch sinnvoll, weil er Binnennachfrage und Kaufkraft der Beschäftigten fördere. Weil weniger Sozialleistungen für sogenannte Aufstocker gezahlt werden müssten, profitiere auch der Staat. (dpa)