Jerusalem. . Israel steht vor einer entscheidenden Zerreißprobe. Das Parlament entscheidet über ein heftig umstrittenes Gesetz, das eine Wehrpflicht auch für strengreligiöse Männer festlegt. In ultraorthodoxen Kreisen wird massiv vor einem Bruch innerhalb des Volks gewarnt.
Die israelische Regierungskoalition will ab Montag drei wichtige Reformvorhaben im Paket durch das Parlament bringen. Insbesondere das Gesetz zur Einbeziehung der ultraorthodoxen Juden in die Wehrpflicht stößt auf Widerstand in der Knesset und auf der Straße. Doch auch die Anhebung der Sperrklausel bei Parlamentswahlen auf 3,25 Prozent und die Verpflichtung auf Volksabstimmungen über mögliche Landabtretungen an die Palästinenser haben als Einzelgesetze keine sichere Mehrheit. Deshalb sollen diese drei Vorhaben zusammengeschnürt in nur drei Tagen die zweite und dritte Knesset-Abstimmung passieren.
Staatsgründer David Ben Gurion hatte sich die Folgen nicht träumen lassen, als er der Forderung der ultraorthodoxen Rabbiner nachgab, junge Haredim ("Gottesfürchtige", wie sie sich selbst nennen), die sich ganz dem Religionsstudium widmen, von militärischen Dienstpflichten zu befreien. Nachdem die meisten in den deutschen Vernichtungslagern ermordet worden waren, gab es nur noch wenige strenggläubige Juden. Und so betraf 1954 die Einführung der Wehrdienstbefreiung lediglich 400 Religionsschüler. Doch wegen ihres Kinderreichtums gibt es heute mehr als 30.000 männliche Haredim im wehrpflichtigen Alter.
300.000 Strenggläubige versammeln sich bei Großkundgebung
Auf die israelische Volkswirtschaft hat es weitreichende Auswirkungen, dass die große Mehrheit der Ultraorthodoxen neben dem ganztägigen Torastudium nicht arbeitet. Staatliche Zuzahlungen bessern das Einkommen der hart arbeitenden Haredi-Frauen auf, um die oft bitterarmen Großfamilien zu unterhalten.
Aufgrund des steigenden Unmuts über die "ungleiche Lastenverteilung" entschied der Oberste Gerichtshof schon 1998 einstimmig, die Wehrdienstbefreiung körperlich geeigneter Haredim sei verfassungswidrig. Seitdem wird um eine Reform gerungen, die jetzt Gesetzeskraft erlangen soll.
Dagegen ziehen die Strenggläubigen massiv zu Felde. Eine Großkundgebung mit rund 300.000 Teilnehmern belegte vor einer Woche ihren Mobilisierungsgrad. Weil zugunsten gemeinsamer Gebete und Tanzrituale auf Podien und Redner verzichtet wurde, konnten alle drei großen Haredi-Strömungen mit ihren verfeindeten Rabbinern Einigkeit demonstrieren. Für Empörung sorgt vor allem, dass laut Gesetzentwurf Toraschüler, die der Einberufung nicht nachkommen, mit Gefängnis bestraft werden können.
Rabbiner könnten Haredim förmlich verbieten, sich bei Wehrämtern zu melden
Aus Furcht vor Gewaltausbrüchen und einer tiefen Spaltung der jüdischen Gemeinschaft ist der Gesetzentwurf inzwischen stark verwässert worden. So soll die Wehrpflicht erst ab 2017 voll wirksam werden. Und dann soll die Zahl der zum Militär- oder Ersatzdienst einzuziehenden Ultraorthodoxen auf 5200 begrenzt werden. Zudem sollen mehrere hundert Strenggläubige im internationalen Missionsdienst in die Quote eingerechnet werden.
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Die liberale Zukunftspartei, die ihren Wahlerfolg 2013 vor allem dem Versprechen verdankte, die Privilegien der Ultraorthodoxen zu beschneiden, setzte allerdings durch, dass die Ignorierung eines Gestellungsbefehls wie bei allen anderen Wehrpflichtigen individuell bestraft wird, was auch Gefängnis bedeuten kann.
Unklar ist, wie sich die Haredim im Falle der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in den nächsten Tagen verhalten werden. Ob ihre Rabbiner ein förmliches Verbot aussprechen, sich bei den Wehrämtern zu melden, ist von großer Bedeutung. Klar ist dagegen, dass jede Verhaftung eines Verweigerers zu Unruhen führen wird.
Deshalb haben viele Abgeordnete der nationalreligiösen Siedlerpartei "Jüdisches Heim" weiterhin starke Bedenken, dem Kompromissentwurf zuzustimmen. Um eigene Mehrheiten der Regierungskoalition zu sichern, wurde das Dreier-Paket geschnürt. Denn das Referendumsgesetz gilt als Herzensanliegen des "Jüdischen Heims". Mit der vor allem für die drei arabischen Kleinparteien gefährlichen Anhebung der Zweiprozenthürde will die ultranationalistische Fraktion von "Unser Haus Israel" ihr parlamentarisches Jahr krönen. Und für die Zukunftspartei hängt von der Durchsetzung der Wehrpflicht sogar das Überleben ab. (afp)