Kiew/Brüssel. . Die Lockrufe des Westens nährten in der Ukraine trügerische Hoffnungen auf eine baldige Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Doch das ist unrealistisch. Das Land ist von Armut gebprägt, der Pleite nah und unfassbar korrupt. Keiner in der EU findet es reif für die EU. Eine Analyse.

Viele Ukrainer träumten schon von einer Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union. Auch wenn der EU-Außenpolitiker Elmar Brok (CDU) am Montag gegenüber dieser Zeitung betonte, die Europäische Union habe dem Land „nie einen Anlass gegeben“, mit einem halbwegs kurzfristigen Beitritt rechnen zu können, es sei „nichts versprochen“ worden – der Westen buhlte um Kiew, lockte mit einem Assoziierungs-Abkommen – und weckte damit, wenn auch ungewollt, unrealistische Hoffnungen in der Ukraine.

Allein ein Blick auf die wirtschaftlichen Daten zeigt, dass ein EU-Beitritt höchstens eine sehr langfristige Perspektive darstellt. Zumal sich in Brüssel nach den Erfahrungen mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens das Interesse an einer neuen Erweiterung Richtung Osten in engen Grenzen hält. „Die Ukraine hat bei Weitem nicht die Reife für Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union“, bilanziert denn auch CDU-Mann Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments.

Der Staatsbankrott droht

Inzwischen droht der Ukraine der Staatsbankrott. „Wir sind jetzt der Überzeugung, dass die Ukraine zahlungsunfähig sein wird, sollte sich die Lage nicht erheblich zum Positiven wenden – womit wir nicht rechnen“, heißt es in einer aktuellen Bewertung der Rating-Agentur Standard & Poor’s.

Die Devisenreserven des Landes haben sich seit Anfang 2012 fast halbiert – von knapp 32 auf 18 Milliarden Dollar. Aber: Allein 2014 müssen Staat und Bürger laut einer Analyse der DekaBank 27 Milliarden Dollar an Kreditgeber zahlen. Moskau hat versprochene Milliardenhilfen auf Eis gelegt. Das Land ist deshalb auf internationale Hilfe angewiesen und hofft auf eine Finanzspritze des Internationalen Währungsfonds.

Im Vergleich ist Rumänien unfassbar reich

Die Ukraine gehört zu den Armenhäusern Europas. Die Wirtschaft hat sich von dem Crash 2009, als sie um nahezu 15 Prozent einbrach, nie erholt. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen lag 2012 bei 2760 Euro. Zum Vergleich: Das EU-Sorgenkind Rumänien liegt bei 6550, Polen bei 10.100 und Griechenland bei knapp 18.000 Euro.

Die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien 2007, die sich für viele Experten alsbald als verfrüht, wenn nicht gar überstürzt darstellte, hat innerhalb der Europäischen Union zu großen Problemen geführt. Nach Inkrafttreten der vollen Freizügigkeit zu Beginn dieses Jahres steigt die Zahl der Zuwanderer aus diesen Ländern. Neben gut ausgebildeten Migranten kommen auch Armutsflüchtlinge, was zu Problemen in einzelnen Städten führt. In Brüssel ist die Furcht groß, mit der Ukraine würde man sich den nächsten Problemfall dieser Art in die Union holen.

Korruption ist das Grundübel

Ein Grundübel in der Ukraine ist die verbreitete Korruption. Die Internetzeitung „Ukrainska Prawda“ schrieb unter Berufung auf den Arbeitgeberverband, Unternehmen hätten bis zur Hälfte ihres Umsatzes als Schmiergelder an den Beamtenapparat abliefern müssen. Experten schätzten das Jahresvolumen auf 16 Milliarden Dollar.

Der neue Ministerpräsident Jazenjuk beschuldigte die alte Regierung, über die letzten drei Jahre bis zu 70 Milliarden Dollar, die als Kredite gegen Staatsgarantien aufgenommen worden seien, aus dem staatlichen Finanzsystem auf Konten in Steueroasen geschleust zu haben. Im Korruptions-Index der Organisation Transparency International liegt die Ukraine auf Platz 144 – noch hinter Nigeria, Bangladesh und Iran.