Simferopol/Kiew. . Die Nato beobachtet die dramatischen Entwicklungen auf der ukrainischen Halbinsel Krim mit Beunruhigung und ruft besonders Russland auf, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Ich bin extrem besorgt über die Entwicklungen auf der Krim“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel.

Morgens besetzten Dutzende mit Maschinengewehren bewaffnete Kämpfer Parlament und Regierungsgebäude in der Krim-Hauptstadt Simferopol und hissten dort die russische Flagge. Die Männer waren maskiert und schwarz uniformiert, trugen aber keine Abzeichen. Der Kiewer Parlamentarier Gennadi Moskal sagte, es handele sich um Polizisten der Sewastopoler Elite-Einheit „Berkut“, die vorher in Kiew gegen die Aufständischen auf dem Maidan-Platz gekämpft hatten.

Tausende pro-russische De­mons­tranten versammelten sich daraufhin vor dem Parlament. Am Nachmittag rief das Präsidium zu einer Volksabstimmung über den Status der Krim auf. Russland versetzte Militärjets an der Westgrenze in Kampfbereitschaft und kündigte an, seine Landsleute in der Ukraine zu schützen.

„Die Ukraine versinkt im völligen Chaos, in Anarchie und einer wirtschaftlichen Katastrophe“, erklärte die Sprecherin des Obersten Sowjets, Oksana Kornijtschuk. Der Kampf um die historisch bedeutende und strategisch wichtige Halbinsel Krim zwischen Russland und der Ukraine ist voll entbrannt.

Die Souveränität achten

In Kiew und Moskau wird heftig diskutiert, welche Ziele die Konterrevolutionäre auf der Schwarzmeerhalbinsel tatsächlich anstreben. Und in wie weit Moskau die Besetzung des Parlaments befürwortet oder sogar organisiert hat. „Wir befürchten, dass ihre Aktion mit der russischen Schwarzmeerflotte abgestimmt war“, vermutete der krimtatarische Parlamentarier Mustafa Dschemiljew.

Interimspräsident Alexander Turtschniow warnte Russland, die Ukraine werde jede Truppenbewegung außerhalb des Territoriums der russischen Flottenbasis in Sewastopol als kriegerischen Akt betrachten.

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Wegen der Schwarzmeerflotte und des touristischen Potentials wird die Krim zum Zankapfel zwischen der Ukraine und Russland.
Von Gudrun Büscher

„Fangt keinen Krieg mit uns an, Russen!“

Der am Donnerstag vom Parlament in Kiew neu gewählte Premierminister Arseni Jazenjuk rief Moskau auf, die Souveränität der Ukraine zu beachten. „Fangt keinen Krieg mit uns an, Russen!“, forderte er in seiner Antrittsrede. „Wir sind Freunde und Partner. Wir müssen einen gemeinsamen Weg gehen.“

Der kremlnahe russische Duma-Abgeordnete Alexei Puschkow wies dagegen per Twitter darauf hin, dass in diesem Fall für Moskau das Recht auf Selbstbestimmung höher stehe: „Wenn der Wille des Volkes im Kosovo oder in Kiew zur Quelle der Selbstbestimmung werden kann, darf man dies auch der Mehrheit des Krimvolkes nicht verweigern.“

Der Westen wurde durch die Konfrontation auf der Krim alarmiert. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen fordert Russland auf, alles zu unterlassen, was zu einer Eskalation führen könnte. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel mahnte, die Regierung in Moskau solle keine Schritte unternehmen, die missverstanden werden könnten.

Vor dem Staatsbankrott

Der gestürzte und seit Tagen abgetauchte ukrainische Präsident Janukowitsch bat Russland um persönlichen Schutz vor „Extremisten“. Moskau sicherte ihm diesen Schutz zu. Janukowitsch wird von den neuen Machthabern in Kiew per Haftbefehl gesucht.

Die wirtschaftliche Lage des auf einen Staatsbankrott zusteuernden Landes verschärfte sich weiter. Kiew bat den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Finanzhilfen. IWF-Chefin Christine Lagarde erklärte, man überlege, wie der Ukraine in diesem „kritischen Moment ihrer Geschichte“ am besten geholfen werden könne.

Einer der Gründe für die Misere ist offenbar, dass sich führende Leute des alten Regimes vor ihrer Entmachtung ungeniert bedienten: Nach Angaben von Premier Jazenjuk fehlen in der Staatskasse fast 40 Milliarden Dollar.