Kiew. Arseni Jazenjuk ist in der Ukraine zum neuen Regierungschef gewählt worden. Es gibt zwar eine Übergangsregierung, aber die Lage auf der Krim spitzt sich weiter zu. Aus dem russischen Exil gießt Ex-Präsident Janukowitsch Öl ins Feuer, und Moskau sorgt mit Militärmanövern für Unruhe.
Nach dem Machtwechsel in der Ukraine hat das Parlament in Kiew am Donnerstag den 39 Jahre alten Arseni Jazenjuk zum neuen Regierungschef gewählt. Der Gefolgsmann von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko soll das Land aus der schwersten Krise seit der Unabhängigkeit der Ukraine führen. Auf der Halbinsel Krim verschärfte sich die Lage, nachdem Bewaffnete am Morgen die Gebäude von Regionalregierung und Parlament besetzt hatten. Das russische Militär sorgte mit Drohgebärden für weitere Spannung.
Der entmachtete Präsident Viktor Janukowitsch erkannte die Entscheidung des Parlaments nicht an. Er halte sich weiter für den legitimen Staatschef, betonte er nach einer in Russland von Staatsmedien verbreiteten Erklärung. Es war die erste Wortmeldung von Janukowitsch seit seiner Absetzung vergangene Woche.
Russland gewährt Junukowitsch Schutz
Russland gewährte ihm demonstrativ Schutz auf seinem Territorium. Dem Hilfsgesuch des Politikers sei entsprochen worden, meldeten Agenturen am Donnerstag unter Berufung auf Machtstrukturen. Nach Berichten russischer Medien befindet er sich in einem Sanatorium bei Moskau.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte ihre Bereitschaft, die Ukraine auf dem Weg zur Stabilität zu unterstützen. Europa stehe dem Land bei, "wenn es darum geht, Recht und Freiheit zu schützen", sagte Merkel in einer Rede vor dem britischen Parlament in London.
Die angespannte Lage auf der ukrainischen Halbinsel Krim verschärfte sich mit der Besetzung des Regionalparlaments und des Regierungsamtes durch Bewaffnete weiter. Etwa 30 Männer hätten am Morgen das Glas der Eingangstüren zerschossen und sich Zugang verschafft, sagte ein Behördenmitarbeiter. Die Gruppe bezeichne sich als Selbstverteidiger der russischsprachigen Bevölkerung der Krim. Interimsinnenminister Arsen Awakow versetzte die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Nach Berichten von Augenzeugen weht auf dem Gebäude die russische Flagge.
Ukraine warnt Russland vor Truppenbewegungen auf der Krim
Angesichts der zunehmenden Spannungen warnte die Ukraine ihren Nachbarn Russland eindringlich vor Truppenbewegungen auf der Krim. Sollten sich Soldaten der Schwarzmeerflotte in Sewastopol unangemeldet außerhalb der festgelegten Zonen bewegen, werde dies als "militärische Aggression" gewertet, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow. Damit reagierte die neue Führung in Kiew auf Patrouillen russischer Schützenpanzer außerhalb der festgelegten Zonen.
Die USA forderten Russland zur Zurückhaltung in der Ukraine-Krise auf. Verteidigungsminister Chuck Hagel sagte am Donnerstag in Brüssel, die Vereinigten Staaten würden die Militär-Übungen an der ukrainischen Grenze sehr genau beobachten. "Ich erwarte von Russland Transparenz bei diesen Aktivitäten", sagte er.
371 Stimmen für Jazenjuk
Auf der Krim machten sich Abspaltungstendenzen bemerkbar. Das prorussische Krim-Parlament will nun in einer Volksbefragung über die Zukunft der eigenen Autonomie entscheiden lassen. "Durch die verfassungswidrige Machtübernahme in der Ukraine von radikalen Nationalisten und mit Unterstützung bewaffneter Banden sind Friede und Ruhe auf der Krim gefährdet", sagte eine Parlamentssprecherin.
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Die Mehrheit der Krim-Bewohner sind ethnische Russen. Am Vortag war es vor dem Regionalparlament in Simferopol zwischen Befürwortern und Gegnern einer Annäherung der Ukraine an Russland zu Zusammenstößen gekommen. Dabei waren 35 Menschen verletzt worden.
Im Parlament in Kiew erhielt Jazenjuk 371 Stimmen unter anderem von der Partei Udar (Schlag) des Ex-Boxprofis Vitali Klitschko, die auf eigenen Wunsch nicht an der neuen Regierung beteiligt ist. Im Saal waren 417 Abgeordnete, von insgesamt 450. Jazenjuk führte zuletzt die Parlamentsfraktion von Timoschenkos Vaterlandspartei. Er war außerdem schon Parlamentschef und Außenminister der Ex-Sowjetrepublik gewesen.
"Die Staatskasse ist leer"
Angesichts der schweren Krise im Land hatte Jazenjuk gemeint, die Arbeit des neuen Kabinetts laufe auf "politischen Selbstmord" hinaus. "Die Staatskasse ist leer. Es gibt Schulden von 75 Milliarden US-Dollar", sagte er. Das Gesamtvolumen von Zahlungsverpflichtungen liege aktuell bei 130 Milliarden US-Dollar. Schon seit mehr als einen Monat würden keine Renten mehr in voller Höhe ausgezahlt.
Russland teilte mit, im Rahmen eines großen Manövers auch seine Kampfbomber-Flotte im Westen des Landes sowie seine Flotte in der Ost- und in der Barentssee zu testen. Dabei würden etwa Kampfflugzeuge an der Grenze zur Ukraine eingesetzt. Die dortigen Luftstreitkräfte sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums im Dauereinsatz. Dies habe nichts mit der Lage in der Ukraine zu tun. (dpa)