Düsseldorf. Offizielle Kandidaten gibt es zwar nicht, in der Ukraine soll am Dienstag aber eine Übergangsregierung gewählt werden. Westliche Diplomaten sind in Kiew - und knüpfen mögliche Finanz-Hilfen an Bedingungen. Derweil wird bekannt, dass 22.000 Soldaten gegen die Demonstranten eingesetzt werden sollten.

Unter Zugzwang gesetzt durch einen drohenden Staatsbankrott will das ukrainische Parlament am Dienstag einen neuen Ministerpräsidenten bestimmen. Offizielle Kandidaten für das schwierige Amt des Regierungschefs und sein neues Übergangskabinett gibt es nicht - wer das Land nach dem Machtwechsel aus der Krise führen soll, ist damit offen. Ranghohe Besucher aus den USA und Brüssel wollen den Neustart in Kiew am Dienstag unterstützend vorantreiben.

Zunächst führt das Parlament seine tags zuvor begonnenen Beratungen zur Regierungsbildung am Vormittag weiter. Über mögliche Nachfolger des inzwischen untergetauchten prorussischen Staatschefs Viktor Janukowitsch wird dabei noch nicht entschieden. Allerdings können laut Übergangspräsident Alexander Turtschinow ab sofort alle Ukrainer ihre Bewerbung für das höchste Staatsamt einreichen. Gewählt wird der neue Präsident voraussichtlich am 25. Mai.

22.000 Polizisten sollten gegen Demonstranten in den Einsatz

Unterdessen wurde bekannt, dass der gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Demonstrationen gegen ihn offenbar mit einem Großeinsatz Tausender Sicherheitskräfte niederschlagen wollte. Dies geht aus Dokumenten hervor, die Journalisten zufolge in der nahe Kiew gelegenen Residenz Janukowitschs gefunden wurden und die ein Abgeordneter der bisherigen Opposition ins Internet stellte. Nach den Plänen sollte der Unabhängigkeitsplatz in Kiew umstellt werden, Scharfschützen hätten das Feuer auf die Demonstranten eröffnen sollen. 22.000 Polizisten, darunter 2000 Spezialkräfte sollten an der Aktion beteiligt werden.

Mit der Veröffentlichung solle der Druck auf die neue Führung erhöht werden, den flüchtigen Janukowitsch vor Gericht zu stellen, sagte der Abgeordnete Hennadi Moskal.

Finanzministerium rechnet mit Milliarden-Defizit in den kommenden Jahren 

Die USA, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union haben bereits ihre Bereitschaft zu Finanzhilfen signalisiert, um dem nach dreimonatigen Massenprotesten in seinen Grundfesten erschütterten Land wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Das Finanzministerium in Kiew bezifferte den Finanzbedarf bis Ende 2015 auf umgerechnet 25 Milliarden Euro und schlug eine internationale Geberkonferenz vor.

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Das Auswärtige Amt plädiert dafür, mögliche Finanzhilfen für die Ukraine an strikte Bedingungen zu knüpfen. "Voraussetzung für Hilfen ist politische Stabilität und eine Übergangsregierung, mit der man verbindlich einen Hilfs- und Stabilisierungsplan entwickeln kann", sagte der für Europaangelegenheiten zuständige Staatsminister Michael Roth (SPD) zu "Handelsblatt Online". Europäische Hilfe müsse zwar "rasch und umfassend" erfolgen, aber auch mit den USA, dem IWF und Russland abgestimmt werden. "Eine instabile und zahlungsunfähige Ukraine ist eine große Gefahr für Europa und alle Nachbarn", sagte Roth.

Haftbefehl wegen "des Massenmords an friedlichen Zivilisten"

Janukowitsch war am Samstag vom Parlament abgesetzt worden, nachdem die Opposition die Macht in der Volksvertretung übernommen hatte. Gegen ihn und rund 50 weitere Funktionäre sowie Vertreter der Sicherheitsdienste wurde Haftbefehl wegen "des Massenmords an friedlichen Zivilisten" erlassen, wie Übergangs-Innenminister Arsen Awakow mitteilte.

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Janukowitschs einstweiliger Nachfolger Turtschinow, ein Vertrauter der aus dem Gefängnis freigelassenen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, wird von Moskau nicht voll anerkannt. "Es erscheint mir als eine Verirrung, für legitim zu halten, was in Wahrheit das Ergebnis einer bewaffneten Revolte ist", sagte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew am Montag. Sein Außenministerium warf der neuen Führung in Kiew "diktatorische und teils terroristische Methoden" vor.

Anstieg der Ölpreise durch die Krise

Während sich der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag am Rande eines Besuchs in Luxemburg äußern dürfte, wurde in Kiew US-Vizeaußenminister William Burns erwartet. Burns ist der ranghöchste Vertreter Washingtons, der dem Krisenland seit Dezember einen Besuch abstattet. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wollte ihre zweitägigen Gespräche in Kiew fortsetzen, der britische Außenminister William Hague kündigte ebenfalls eine baldige Visite an.

Die Staatskrise in der Ukraine führte am Montag schon zu einem Anstieg der Ölpreise. Analysten führten dies auf Befürchtungen zurück, dass Russland seine Erdgaslieferungen aus Ärger über die Entwicklungen in Kiew aussetzen könnte. (afp)