Kiew. Eine derartige Explosion der Gewalt hat Europa seit langem nicht mehr erlebt. In Kiew liefern sich Sicherheitskräfte und Demonstranten über Stunden blutige Straßenschlachten. Das Land trudelt in den Abgrund.
Der Machtkampf in der Ukraine ist völlig außer Kontrolle geraten. Nach schweren Straßenschlachten mit zahlreichen Toten und Hunderten Verletzen bleibt die Lage in der Hauptstadt Kiew explosiv. Auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) setzten sich Tausende Demonstranten gegen ein massives Aufgebot von Einsatzkräften der prorussischen Regierung zur Wehr. Im Zentrum von Kiew brannte es an vielen Stellen.
18 Uhr: Das ukrainische Militär will nach eigener Darstellung an einem landesweiten "Anti-Terror-Einsatz" des Geheimdiensts gegen radikale Regierungsgegner teilnehmen. Soldaten hätten unter anderem das Recht, Schusswaffen einzusetzen und Personen festzunehmen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Mittwoch mit. Beobachter sprachen davon, damit werde im Prinzip ein Ausnahmezustand im Land ermöglicht. Geregelt sei die Beteiligung des Militärs in Artikel 15 des Anti-Terror-Gesetzes, hieß es in der Mitteilung. Der SBU hatte zuvor Regierungsgegnern "konkrete terroristische Akte" vorgeworfen. Bislang gibt es keinen Hinweis darauf, dass das Militär in die Auseinandersetzungen eingreift.
17:15 Uhr: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) reist am Donnerstagmorgen gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Laurent Fabius nach Kiew. Wie Fabius am Mittwoch in Paris mitteilte, wollen beide den polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski begleiten, der am Mittwoch bereits auf dem Weg in die ukrainische Hauptstadt war.
16:30 Uhr: Die Sicherheitsdienste in der Ukraine haben einen landesweiten "Anti-Terror"-Einsatz angekündigt. Der Nationale Sicherheitsdienst sowie das Zentrum für Terrorabwehr hätten die Entscheidung für diesen Einsatz getroffen, hieß es in einer Erklärung des Chefs der Sicherheitsdienste, Oleksander Jakimenko.
15.45 Uhr: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) lehnt eine Vermittlerrolle in der Ukraine ab. "Die Vermittlung im Ukraine-Konflikt kann keine Einzelperson übernehmen", sagte der 69-Jährige am Mittwoch dem Nachrichtenportal "Spiegel Online". Stattdessen schlug er vor, die Vereinten Nationen einzuschalten. "Man wird in der jetzigen Situation eine Institution brauchen, die mit beiden Seiten reden kann - und das können nur die Vereinten Nationen sein." Linksfraktionschef Gregor Gysi hatte Schröder im Deutschlandfunk als Vermittler ins Gespräch gebracht. Schröder hält es nicht für möglich, dass die Europäische Union zwischen Präsident Viktor Janukowitsch und der Opposition vermittelnd tätig wird. Die "einseitige Unterstützung der Europäer für die Opposition" mache dies unmöglich. "Europa hat den Fehler gemacht, sich auf eine Seite zu schlagen, es ist nun selbst Partei."
Schröder sprach sich zudem gegen die Idee aus, gegen das Land Sanktionen zu verhängen. "Im Moment nützen Sanktionen wenig", sagte der Ex-Regierungschef. "Es darf nicht zu einer Spaltung des Landes kommen. Am Ende muss die Ukraine entscheiden, in welche Richtung sie sich orientieren will."
15.15 Uhr: Deutschland und Frankreich treten gemeinsam für Sanktionen gegen die Urheber der Gewalttaten in der Ukraine ein. Dies teilte Frankreichs Präsident François Hollande bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Paris mit: "Diejenigen, die sich für diese Taten zu verantworten haben, müssen wissen, dass sie auf jeden Fall sanktioniert werden." Merkel sagte, das Vorgehen der Sicherheitskräfte könne man "nicht einfach hinnehmen". Bei Sanktionen müssten aber auf jeden Fall die Verursacher getroffen werden. "Es hat im Augenblick keinen Sinn Sanktionen zu machen, die die Zivilbevölkerung treffen." Weiter sagte die Kanzlerin: "Sanktionen allein reichen aber nicht. Wir müssen den politischen Prozess wieder in Gang bringen." Dazu sollten auch die Kontakte "in Richtung Russland" genutzt werden.
14.15 Uhr: In Kiew reißt die Gewalt nicht ab. Auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz setzten am Mittwochmittag weiterhin starke Polizeikräfte Wasserwerfer gegen verbarrikadierte Demonstranten ein. Die Regierungsgegner schleuderten immer wieder Steine, Feuerwerkskörper und Brandsätze auf die Sicherheitskräfte. Die ukrainische Führung zeigt sich kompromisslos - ebenso die Opposition. Derzeit sieht alles nach einer weiteren Eskalation in den Abendstunden aus.
12.03 Uhr: Papst Franziskus hat zu einem Ende der Gewalt sowie Einigkeit und Frieden in der Ukraine aufgerufen. "Mit Besorgnis verfolge ich, was in diesen Tagen in Kiew passiert", sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche am Mittwoch bei der wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom. "Ich versichere dem ukrainischen Volk meine Nähe und ich bete für die Opfer der Gewalt, für ihre Familien und die Verletzten." Gleichzeitig appellierte der Pontifex vor Tausenden Pilgern an alle Parteien in der Ukraine, "jede gewaltsame Aktion zu beenden sowie Einigkeit und Frieden für das Land zu suchen."
11.43 Uhr: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch Fehler im Umgang mit der Opposition vorgeworfen. "Die Verzögerungstaktik von Präsident Janukowitsch hat die Ukraine teuer bezahlt", erklärte Steinmeier am Mittwoch nach Angaben seines Ministeriums. "Seine Verweigerung ernsthafter Gespräche über eine friedliche Konfliktlösung und Verfassungsreform ist ein großer Fehler."
Steinmeier forderte die Regierung in Kiew zur Besonnenheit auf. "Es liegt in der Verantwortung von Präsident Janukowitsch, der Regierung und den Sicherheitskräften, besonnen zu agieren und zu deeskalieren." Trotz der Gewalt müssten die "Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines politischen Verhandlungsprozesses" geschaffen werden. Beide Seiten sollten auf Gewalt verzichten. Die jüngste Gewalteskalation sei "erschreckend, die hohe Zahl der Opfer furchtbar".
11.23 Uhr: Die EU-Außenminister sind für Donnerstag zu einer Sondersitzung über die Ukraine nach Brüssel einberufen worden. Das bestätigte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Mittwoch.
10.59 Uhr: Wegen der Eskalation in der Ukraine rät die Bundesregierung zu erhöhter Vorsicht in dem Land. Das Auswärtige Amt in Berlin empfahl am Mittwoch dringend, sich von den Demonstrationen in Kiew fernzuhalten. Darüber hinaus sollten die Reisenden auch Menschenansammlungen, Regierungsgebäude und Orte mit hoher Polizeipräsenz meiden. Die Reisehinweise waren am Dienstagabend aktualisiert worden, nachdem die gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Ukraine wieder aufgeflammt waren. Bis zum Morgen hatte es in Kiew bei blutigen Straßenkämpfen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften mindestens 25 Tote gegeben.
Kampf auf dem Maidan
10.55 Uhr: Die EU-Regierungen prüfen mögliche Sanktionen gegen die politische Führung der Ukraine. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teitle am Mittwoch mit, sie habe das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU gebeten, "alle Optionen der Antwort" auf die Lage in der Ukraine zu prüfen. Dazu gehörten auch "restriktive Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen". In dem Komitee sind Botschafter aller EU-Regierungen vertreten. Das Gremium trat am Mittwochvormittag in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammen.
10.12 Uhr: Der polnische Regierungschef Donald Tusk will sich bei den europäischen Regierungschefs und EU-Institutionen für persönliche und finanzielle Sanktionen gegen die "Verursacher des ukrainischen Unglücks" einsetzen. Jedes Gespräch mit der ukrainischen Führung ende mit einem Fiasko, sagte er am Mittwoch im polnischen Parlament zu der Entwicklung in Kiew. "Die Verantwortung für die Gewalt hat die Regierung."
"Wir Polen werden angesichts dieser Ereignisse nicht gleichgültig bleiben, weil wir wissen, dass die Entwicklung in der Ukraine die Geschichte und Zukunft der ganzen Region entscheiden wird und so auch die Zukunft und Sicherheit Polens beeinflusst", betonte Tusk, der noch am späten Dienstagabend ein Krisentreffen mit seinem Kabinett zur Lage in dem Nachbarland angesetzt hatte. Dabei sei es auch um Pläne zu Versorgung verletzter Ukrainer und die Aufnahme von Flüchtlingen gegangen.
Regierungsgegner rüsten sich für neue Zusammenstöße
9.25 Uhr: Nach tödlichen Straßenschlachten in Kiew haben sich Regierungsgegner auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz Maidan auf neue Zusammenstöße mit Sicherheitskräften vorbereitet. "Bringt alles zu den Barrikaden, das brennt und alles, das sie verstärkt", riefen Redner von einer Bühne. Das berichteten örtliche Medien am Mittwoch.
Auf dem seit Monaten besetzten Platz harrten weiter Tausende aus. Die gewaltsame Gegenwehr sei gesetzlich legitimiert, behaupteten die Redner und riefen zum Durchhalten auf. "Rennt nicht weg, wenn sie (die Polizisten) kommen!" Nach offiziellen Angaben wurden bislang mindestens 25 Menschen getötet und Hunderte verletzt.
8.43 Uhr: Linksfraktionschef Gregor Gysi hat seinen früheren politischen Widersacher, Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), als Vermittler in der Ukraine-Krise vorgeschlagen. Man brauche jemanden, der einen guten Draht zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin hat, sagte Gysi am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Wie wäre es mit Gerhard Schröder?" Ohne Moskau könne eine Lösung in der Ukraine nicht gefunden werden, sagte Gysi.
#Ukraine police are blocking roads to/from #Kyiv, inspecting vehicles. Photo: @HromadskeTV #EuroMaidan #Євромайдан pic.twitter.com/8Fix8ohepS
— Christopher Miller (@ChristopherJM) 19. Februar 2014
7.47 Uhr: Die Zahl der Toten bei den schweren Unruhen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist nach jüngsten offiziellen Angaben auf 25 gestiegen. 241 weitere Menschen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Mittwoch in Krankenhäuser gebracht, unter ihnen 79 Polizisten und fünf Journalisten.
7.22 Uhr: Nach der Gewalteskalation mit vielen Toten in der Ukraine hat der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch den Einsatz von Gewalt gegen Regierungsgegner verteidigt. Die Opposition habe die "Grenzen überschritten", als sie ihre Anhänger auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew "zu den Waffen gerufen" hätten, teilte Janukowitsch in der Nacht zum Mittwoch mit. Es handle sich um "Kriminelle, die vor Gericht gehören".
Der Staatschef warf den proeuropäischen Regierungsgegnern den Versuch einer gewaltsamen Machtübernahme vor. Sollten sich die Oppositionsführer nicht von radikalen Kräften distanzieren, werde er "andere Töne anschlagen".
6.54 Uhr: Bei den blutigen Straßenkämpfen in der Ukraine sind bisher mindestens 20 Menschen ums Leben gekommen. Das Innenministerium in Kiew teilte am Mittwoch mit, dass neun Polizisten bei den Ausschreitungen starben. Das Gesundheitsministerium gab die Zahl der getöten Demonstranten mit elf an. Auch mindestens ein Journalist war unter den Todesopfern. Nach unbestätigten Berichten liegen noch zusätzliche Leichen im Michailowski-Kloster der ukrainischen Hauptstadt aufgebahrt, wie Medien berichteten. Insgesamt sprechen die Behörden von bis zu 1000 Verletzten.
Keine Lösung im ukrainischen Machtkampf in Sicht
2.04 Uhr: Die Gespräche zwischen dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und dem Oppositionspolitiker Vitali Klitschko haben in der Nacht zum Mittwoch kein Ergebnis gebracht. Wie die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass berichtete, machte Klitschko nach dem Treffen klar, die Verhandlungen über eine Normalisierung der Lage im Lande seien gescheitert. Klitschko warf Janukowitsch vor, die Situation falsch einzuschätzen.
Trade Unions House this morning, with flames still visible and black smoke pouring out of windows. Photo: Denys Bigus pic.twitter.com/13qQTmWRfs
— Christopher Miller (@ChristopherJM) 19. Februar 2014
Nach offiziellen Angaben kamen bei den Straßenschlachten am Dienstag mindestens 18 Menschen ums Leben. Die Zeitung "Kyiv Post" berichtete in der Nacht sogar von 22 Toten. Eine renommierte Medizinerin sprach von über 1000 Verletzten.
0.40 Uhr: Nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen prowestlichen Demonstranten und Sicherheitskräften in der Ukraine steht das Hauptquartier der Regierungsgegner in Kiew in Flammen. Aus den Fenstern in mehreren Stockwerken des von der Protestbewegung zu ihrem Stützpunkt gemachten Gewerkschaftshauses am Maidan loderten Flammen, wie ein AFP-Reporter in der Nacht zum Mittwoch berichtete. Menschen wurden auf Tragen aus dem Gebäude gebracht.
0.11 Uhr: Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Kiew haben die USA einen Abzug der Ordnungskräfte vom Unabhängigkeitsplatz in der ukrainischen Hauptstadt gefordert. In einem Telefonat mit dem ukrainischen Staatschef Viktor Janukowitsch habe Vizepräsident Joe Biden seine ernste Besorgnis über die "Krise auf den Straßen von Kiew" geäußert, erklärte ein Sprecher des Weißen Hauses am Dienstag. Biden habe Janukowitsch aufgefordert, die Polizei abzuziehen und "maximale Zurückhaltung" zu üben.
#Kyiv's Independence Square in flames http://t.co/3dThksdJ6q Photos by @KyivPost's @sia_vlasova. #EuroMaidan #Ukraine pic.twitter.com/UlhMAi76Xs
— Christopher Miller (@ChristopherJM) 19. Februar 2014
Die Polizei setzte Wasserwerfer und Blendgranaten ein, um das Protestlager der Regierungsgegner zu räumen. Demonstranten griffen die Polizisten mit Brandsätzen an und zündeten Autoreifen an. (afp/dpa)