Essen. . In deutschen Kliniken gibt es laut einem Medienbericht immer wieder Fälle, in denen Menschen fälschlicherweise für hirntot erklärt werden. Das könnte in puncto Organspenden neue Zweifel säen. Experten sprechen von Einzelfällen, fordern jedoch eine bessere Ausbildung der Ärzte.
Ein Mann wird für tot erklärt. Der Körper für die Organspende vorbereitet. Herz, Lunge, Leber, Niere sollen entnommen werden. Als ein Koordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eintrifft, stellt er fest: „Die Ärzte haben ihren Patienten fälschlicherweise für tot erklärt“, so schreibt die Süddeutsche Zeitung nach Auswertung interner Unterlagen. Dies sei nur ein Beispiel für Fehldiagnosen in deutschen Krankenhäusern.
Der Patient habe, so die Zeitung, ein starkes Schmerzmittel erhalten, das betäubend wirkt: Dass das Gehirn keine Aktivitäten zeigte, lag also nicht unbedingt an der Hirnschädigung, sondern am Schmerzmittel. Laut Zeitung habe die Oberärztin zugegeben, von den Schmerzmitteln gewusst zu haben. Deshalb habe der DSO-Koordinator die Transplantation gestoppt. Auf Wunsch der Angehörigen seien die Maschinen abgestellt worden. Der Patient sei verstorben.
Eindeutige Richtlinien
Prof. Ulrich Kampa, Intensivmediziner am Evangelischen Krankenhaus Hattingen, sagt: „Es gibt eindeutige Richtlinien der Bundesärztekammer, wie der Hirntod festgestellt wird. Erst wenn diese erfüllt sind, darf transplantiert werden. Vor allem die betäubende Wirkung von Medikamenten auf das Gehirn muss unbedingt ausgeschlossen werden.“ In dem von der Zeitung beschriebenen Fall sprach die zuständige Ärztin von Zeitmangel. Kampa sagt, dass eine Hirntoddiagnostik Tage dauern könnte. „Sämtliche andere Faktoren, die zu einer Einstellung der Hirnaktivität führen können, müssen überprüft und hundertprozentig ausgeschlossen werden.“ Bei Kindern gebe es besondere Bestimmungen.
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Die „SZ“ benennt einen Fall in Norddeutschland, wo die Ärzte bei einem Kleinkind die Todesfeststellung nach Kriterien vornahmen, die nur für Erwachsene gelten. Sie warteten nicht die vorgeschriebenen 24 Stunden, sondern fällten ihre Entscheidung bereits nach 12 Stunden.
Zwei Ärzte müssen prüfen
Etwa 2000-mal im Jahr wird in Deutschland der Hirntod festgestellt. Weil das zwei Ärzte unabhängig voneinander überprüfen müssen, hält Kampa die Richtlinie für gut. Doch anscheinend ist das System nicht gut genug. Kampa: „Damit die Menschen nicht das Vertrauen in die Medizin verlieren, sollte die Ärztekammer für bessere Kontrollen sorgen.“
Prof. Peter Scriba von der Bundesärztekammer spricht von „extremen Einzelfällen“, doch er sagt auch: „Das Personal an einigen Intensivstationen kommt ja nicht so oft in Berührung mit der Hirntod-Diagnostik. Dieses Personal ruft dann vielleicht nur: ,Könnte es sein, dass der Patient hirntot ist?’“ Dann müsste es organisiert werden, dass zwei externe Ärzte den Fall begutachten. Ob das schlecht ist? Soweit will Scriba nicht gehen.
Bessere Ausbildung der Ärzte gefordert
Ein Kritiker wie der Neurologe Hermann Deutschmann aus Hannover sagte der Zeitung, dass er schon lange entdeckt habe, „wie häufig Ärzte Menschen fälschlicherweise für tot erklären“. In 30 Prozent der Fälle konnte er als Gutachter die Diagnose nicht teilen. Die Fehler seien nicht nur an kleinen Krankenhäusern, sondern auch an Unikliniken aufgetreten.
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Angeblich liege die Ursache in der unzureichenden Ausbildung der Ärzte, die den Hirntod feststellen. Scriba sagt: „Die Richtlinien sind gut, aber man kann sie nachbessern.“ Ärzte, die den Hirntod feststellen, sollten erfahren und speziell ausgebildet sein.
Für Laien ist der Hirntod schwer nachvollziehbar. Durch Maschinen und Medikamente schlägt das Herz, der Patient atmet vermeintlich. Und er sieht rosig aus. Mittels Überprüfung der „Hirnstamm-Reflexe“ (wie Schmerzreflexe) sei die Diagnose zu stellen, so Kampa. „Das Wichtigste ist, dass man sich Zeit und nochmals Zeit nimmt.“
Zahl der Organspender sank 2013 auf historisches Tief
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte die Einrichtung eines "Kompetenzteams Hirntoddiagnostik". Dieses sollte beim Robert-Koch-Institut angesiedelt sein und von den Entnahmekrankenhäusern bundesweit angefordert werden können. Jetzt sei "konsequentes Handeln gefordert, denn die Frage, ob Lebenden oder Toten Organe entnommen werden, trifft den Kern der Sorgen in der Bevölkerung beim Thema Organspende".
2013 sackte die Zahl der Organspender in Deutschland mit 876 auf ein historisches Tief ab. Das waren 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Experten sehen darin eine Folge der Transplantationsskandale. (dpa)