Moskau. . Die Welt staunt über Winter-Olympia unter Palmen für 50 Milliarden Dollar. Wenn Kremlchef Wladimir Putin ab Freitag Gastgeber der XXII. Olympischen Spiele ist, will er sich feiern lassen – und diejenigen Lügen strafen, die nicht an seine Vision geglaubt haben.
Es muss eine Szene von biblischer Kraft gewesen sein: Ein dunkler Geländewagen quält sich durch die kaukasischen Berge, hält an einem Bach, heraus springt Wladimir Putin, schaut sich um und ruft: „Lasst uns hier beginnen!“ Putin selbst erzählte dem Staatsfernsehen, wie er schon vor zwölf Jahren den Ort für die am Freitag startenden olympischen Winterspiele bestimmte. Aber schon vorher zweifelte in Russland niemand: Das sind Putins Spiele.
Er betrachtet die zwei olympischen Wochen als eine symbolische Siegesparade seines Regimes. „Mögen die Menschen das neue Russland erblicken, sein Gesicht, seine Möglichkeiten“, sagt Putin. Er will der Welt beweisen, dass sein System sich durchgesetzt hat, dass er bestimmt, wo die großen Partys steigen.
Die Ausgaben explodierten
Auf jeden Fall ist es ihm gelungen, dass Sotschi 2014 der am heftigsten diskutierte Austragungsort seit dem Boykott von Moskau 1980 ist. Putin beschloss, die Welt mit einer Winterolympiade unter Palmen zu verblüffen, plante Formel-1-Rennstrecke und Fußball-WM-Stadion gleich mit ein. „Ein Visionär, ein Macher“, schwärmten ausländische Unternehmer – und verdienten an den Aufträgen kräftig mit.
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Sotschi ist mit seiner monumentalen Infrastruktur ein sehr putinsches Projekt. Er übergab die wichtigsten Bauobjekte Staatskonzernen wie Gazprom oder Sberbank, die von Vertrauten aus Petersburg geleitet werden – oder loyalen Oligarchen. Deren Ausgaben explodierten auf über 50 Milliarden Dollar, einsamer olympischer Rekord.
Kein Wunder, dass Korruptionsvorwürfe laut werden. „Der Hauptgrund der fabelhaften Diebereien bei Putins Olympiade sind die Intransparenz der Behörden und die Unantastbarkeit der Kriminellen in Putins Gefolge“, schimpft der Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Der Wirtschaftsmathematiker Alexander Sokolow verglich die Ausgaben mit denen für vergleichbare Bauprojekte im Ausland und kam zu dem Schluss, dass über 27 Milliarden Dollar zu viel gezahlt wurden, eine durch und durch korrupte „Insiderrente“.
Tausende wurden umgesiedelt
Solche Summen drücken auf die Stimmung. „Für 50 Milliarden Dollar könnte man in jeder russischen Kreisstadt eine Sporthalle bauen“, murrt der Moskauer Ladenbesitzer Sergei Tjurkin. Weitere Negativschlagzeilen machten die Zwangsumsiedlungen Tausender Menschen, die ihre Häuser für den neuen Olympiapark am Meeresstrand räumen mussten. Oder die Hungerstreiks der Gastarbeiter, die regelmäßig um ihren Lohn betrogen wurden. Sotschi geriet zur Pilgerstätte jener Putinkritiker, die nach besonders haarsträubenden Beispielen für Brutalität oder Betrügerei seiner Bürokratie suchten.
Vorfreude auf Olympia 2014
Vor allem das Ausland empörte sich. Barack Obama nahm Putins neues „Antischwulen“-Gesetz zum Anlass, um demonstrativ auf eine Teilnahme an der Eröffnungsfeier zu verzichten, auch Bundespräsident Joachim Gauck oder der französische Staatschef François Holland wollen zu Hause bleiben.
Putins Begnadigung für Michail Chodorkowski und die Amnestie für die Pussy-Riot-Mädchen kippten die Missstimmung nicht. Im Gegenteil, nach den zwei Terroranschlägen in Wolgograd Ende Dezember, droht Sotschi von neuen Attentaten überschattet zu werden. Laut Putin sind dort 40.000 Sicherheitsleute versammelt, nach Angaben der Zeitung Wedomosti kommen noch 30.000 Soldaten hinzu, sie könnten Sotschi zur Festungsolympiade machen. Schon befürchtet auch das IOC-Schwergewicht Gian-Franco Kasper, Chef des internationalen Skiverbandes, „kalte und herzlose“ Spiele.
Die übliche Machtroutine
Auch Putin bemüht sich kaum noch um gute Miene. Pünktlich zu den Spielen geht sein Regime zur üblichen Machtroutine über: Die russischen Kabelkanalbetreiber entziehen dem kritischen Fernsehkanal TV Doschd die Senderechte. Und im Brjansker Gebiet ist zum ersten Mal eine Minderjährige wegen „homosexueller Propaganda“ unter Polizeiaufsicht gestellt worden, nachdem sie sich vor ihren Klassenkameraden als lesbisch bekannt hatte.
„Putin spuckt darauf, ob irgendwelche Westpolitiker Sotschi boykottieren“, sagt der Publizist Ayder Muschdabajew. „Er fühlt sich als Politiker, der allen an Stärke und Unabhängigkeit überlegen ist.“ So kommt es, dass Putins Heimatstadt Petersburg plant, dieses Jahr eine neue Bewerbung abzugeben: für die olympischen Sommerspiele 2024.