Tunis. . In Tunesien begann der arabische Frühling. Inzwischen gilt die dortige Entwicklung als vorbildlich - während in den Nachbarländern Libyen und Ägypten Gewalt und Chaos den Alltag bestimmen. Mit einer neuen Verfassung soll Tunesien nun Glaubensfreiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte bekommen.

Beifall, Jubelrufe, Victory-Zeichen, Versöhnungsgesten. Einige Abgeordnete schwenken tunesische Fahnen, andere liegen sich in den Armen. Die Nationalhymne wird vielstimmig gesungen: „Wir leben und sterben für Tunesien.“ Euphorische Stimmung macht sich im Plenarsaal breit, nachdem Tunesiens Übergangsparlament die ersehnte Verfassung, welche den Weg zur Demokratie und zu Wahlen bereiten soll, mit überwältigender Mehrheit verabschiedet hat.

Viele der insgesamt 216 Abgeordneten feiern diesen historischen Augenblick, gut drei Jahre nach der Vertreibung von Diktator Zine el Abidine Ben Ali, mit Tränen in den Augen. Und für den ins Stocken geratenen „arabischen Frühling“ in Nordafrika ist es endlich mal wieder eine gute Nachricht.

Islam bleibt Staatsreligion

Die Verfassung, in der Glaubensfreiheit, Gleichberechtigung und Menschenrechte verankert werden, gilt als fortschrittlich und wegweisend für die arabische Welt. Der Islam bleibt zwar Staatsreligion in Tunesien, wo die meisten der elf Millionen Einwohner Muslime sind. Aber die Absicht fundamentalistischer Bewegungen, das islamische Scharia-Recht zur Grundlage zu machen, wurde abgelehnt.

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UN-Generalsekretär Ban Ki Moon würdigte das neue Grundgesetz als „historischen Meilenstein“. Tunesien könne „Vorbild für andere Völker“ sein. Die neue Konstitution ließ auch in den europäischen Hauptstädten die Hoffnung wachsen, dass nicht nur in Tunesien, dem Ursprungsland der arabischen Revolution, der politische Frühling neuen Auftrieb bekommt. Das Beispiel Tunesiens wird in den Nachbarländern Ägypten und Libyen, wo seit den Umstürzen Gewalt und politisches Chaos regieren, aufmerksam beobachtet.

„Diese Verfassung ist nicht perfekt“, sagte Parlamentspräsident Mustapha Ben Jaafar, aber sie werde von religiösen wie säkularen Parteien getragen und sei „eine Verfassung des Konsenses“. Ben Jaafar, einer der Wortführer der nichtreligiösen Strömungen im Land, sagte weiter: „Alle Tunesier können sich mit der Verfassung identifizieren, die unsere Errungenschaften bewahrt und die Grundlagen für die Demokratie legt.“

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Wahlen bis Ende des Jahres

Zwei Jahre hatten Tunesiens Parteien um den Text gerungen. Mehrfach drohten die Verhandlungen an Grundsatzfragen wie etwa der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der künftigen Rolle des Islam zu scheitern. Auch die Islamisten, welche mit der moderaten Ennahda-Bewegung die stärkste Partei im Übergangsparlament stellen, sprachen von einer „historischen Leistung“.

Auf der Grundlage der Verfassung soll nun der Übergangspremier Mehdi Jomaa an der Spitze eines Experten-Kabinetts Wahlen vorbereiten – möglichst bis Ende des Jahres. Zugleich gehört zu Jomaas großen Herausforderungen, die auch in Tunesien erstarkenden islamistischen Extremistengruppen zurückzudrängen. Zudem gelten die soziale Not in der Provinz und die hohe Arbeitslosigkeit als Risikofaktoren, die immer wieder gewaltsame Proteste anfachen.