Berlin. . Die Bundesregierung will ihr militärisches Engagement in Krisengebieten ausweiten. Dabei sollen Bundeswehr-Einsätze und humanitäre Hilfe besser abgestimmt werden. „Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind“, sagte Verteidigungsministerin von der Leyen.
Guido Westerwelle hat eben erst sein „Vermächtnis“ als Außenminister beschrieben: Der Republik habe er eine „Friedenspolitik“ und die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ hinterlassen. Dazu gehöre auch die Entscheidung, sich in Libyen militärisch nicht zu beteiligen, blickte der Außenminister a.D. zufrieden zurück. Doch inzwischen ist klar: Von Westerwelles „Vermächtnis“ wird nicht viel bleiben.
Am Wochenende kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen Kurswechsel an: Bei internationalen Einsätzen müsse Deutschland mehr Verantwortung übernehmen, die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik „steht vor völlig neuen Herausforderungen“, sagte die CDU-Vize im „Spiegel“. Von Westerwelles „militärischer Zurückhaltung“ will sie nichts wissen: „Europa kommt im Spiel der globalen Kräfte nicht voran, wenn die einen sich immer dezent zurückhalten, wenn es um militärische Einsätze geht, und die anderen unabgestimmt nach vorn stürzen.“
Von der Leyen steht nicht allein: Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Westerwelles Strategie für falsch gehalten; Steinmeier war einer der ersten, die sich für einen neuen Bundeswehreinsatz in Afrika stark machten. Die Kanzlerin war bisher vorsichtiger, noch ist unklar, wie weit sie ihre Minister gewähren lässt.
Gemeinsame europäische Armee
Doch auch Koalitionäre im Bundestag denken um. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sagt über die „militärische Zurückhaltung“: „Zurückhaltung ist nicht die richtige Grundhaltung“. Es sei deutsches Interesse, sich „stärker zu engagieren“ – politisch, in Ausnahmefällen auch militärisch. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, was das heißt: Von der Leyen sieht auch die deutsche Enthaltung beim Libyen-Einsatz 2011 heute kritisch. „Das hat Irritationen bei den Verbündeten ausgelöst“, sagt sie. Die Europäer müssten künftig erst ihre Position klären, dann gemeinsam handeln. Die Ministerin, Verfechterin der „Vereinigten Staaten von Europa“, sieht die Sicherheitspolitik dabei auch als Hebel für verstärkte europäische Integration mit einer gemeinsamen Armee als langfristiger Perspektive.
Der bevorstehende Einsatz in Afrika ist ein erster Schritt. Dort vollziehen die Europäer einen von den USA eingeleiteten Strategiewechsel nach: Keine militärischen Großeinsätze des Westens wie in Afghanistan mehr – stattdessen werden in Konflikten die Regionalmächte und -allianzen unterstützt, selbst für Frieden zu sorgen. „Wir müssen Länder in die Lage versetzen, ihre Verantwortung wahrzunehmen“, sagt von der Leyen.
Ein Signal nach innen
Die Ausbildungshilfe der Bundeswehr in Mali mit wenigen hundert Soldaten passt in diese Strategie, die erfolgreichen Blitzeinsätze französischer Elitesoldaten weniger. In Zentralafrika, wo Frankreich interveniert, hat die Regierung einen Kampfeinsatz ausgeschlossen, doch von der Leyen will trotzdem mit dabei sein: Die Bundeswehr könnte ihren Sanitäts-Airbus anbieten.
Von der Leyens Vorstoß ist auch ein Signal nach innen: In den letzten Tagen war es Außenminister Steinmeier, der deutsche Auslandseinsätze in Afrika ankündigte, während von der Leyen über die Vereinbarkeit von Soldatendienst und Familie nachdachte. Jetzt macht sie die Punkte. In ihrem Verhältnis zum erfahrenen Außenminister ist latente Konkurrenz angelegt, doch beide sind klug genug, sich abzustimmen.
Sie eint der Wille, das Feld nicht allein der Kanzlerin zu überlassen. Im engen Schulterschluss haben von der Leyen und Steinmeier bereits mit ihren Amtskollegen in Paris eine verstärkte Zusammenarbeit „mit neuem Schwung“ vereinbart. Von der Leyen erwägt als erstes Zeichen, die gemeinsame deutsch-französische Brigade nach Mali zu entsenden, was einem Pariser Wunsch entspräche. Indes: Jeder neue Bundeswehreinsatz muss vom Bundestag bewilligt werden. Schon beklagt die Opposition einen „kopflosen Kurswechsel“ der Regierung.