Oswiecim. . Schüler aus NRW besuchen mit NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) das ehemalige Konzentrationslager in Auschwitz. Besonders das Treffen mit Überlebenden des Nazi-Terrors beeindruckt die jungen Besucher. Es ist die letzte Schülergeneration, die noch Erzählungen aus erster Hand erleben kann.
Zofia Posmysz hat Auschwitz überlebt. Den Winter, den Hunger, die Krankheiten und den alltäglichen Horror. „Vielleicht“, sagt die 90-Jährige heute, „war jemandem daran gelegen, dass ich überlebe, damit ich davon erzählen kann.“
Es sind ehemalige Häftlinge wie diese zarte, alte Frau, die seit Jahrzehnten als Zeitzeugen der Geschichte Stimme und Gesicht geben. Jetzt sitzt die letzte Schülergeneration vor ihr, die das noch erleben kann – Erinnerung aus erster Hand. Denn die nächst Jüngeren werden keine Zeitzeugen mehr befragen und auch kaum noch Großeltern haben, die damals alt genug waren, um heute von der NS-Zeit erzählen zu können. Das Erinnern an Auschwitz steht knapp 70 Jahre nach der Befreiung des Lagers vor einer neuen Etappe.
Menschlichkeit in der Hölle
Das spüren auch die Schüler, die in diesen Tagen nach Auschwitz kommen. „Wir sind ja nicht verantwortlich für das, was damals passiert ist“, sagt Kathrin Hünneckes. „Aber wir sind verantwortlich dafür, was daraus gemacht wird.“
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Die 16-Jährige Gymnasiastin aus Viersen hat genau gehört, was Zofia Posmysz dem Leistungskurs Geschichte mit auf den Weg gegeben hat: Vergeben ja, vergessen nein. Und noch etwas: „Man konnte in Auschwitz allein nicht überleben.“ Zofia Posmysz spricht wenig über das eigene Leid – aber viel über Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen. Kathrins Mitschüler Hugo Hülsmann (17) ist beeindruckt: „Wenn ich später Kinder habe, will ich dafür sorgen, dass sie diesen Sinn für Menschlichkeit entwickeln.“
Bald nur noch Schulstoff?
Für Hugos Kinder wird Auschwitz länger her sein als ein Menschenleben dauert. Nicht nur in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, anderthalb Kilometer entfernt von der Lager-Gedenkstätte, steht deshalb die Frage im Raum: Wie sieht Erinnerungskultur in zehn, zwanzig, in fünfzig Jahren aus?
Wird der Holocaust für künftige Schüler so fern sein wie die Französische Revolution? Schulstoff eben – und mehr nicht? „Die Zeitzeugen sind nicht ersetzbar“, sagt Leszek Szuster, Leiter der Begegnungsstätte. Sie verfilmen hier nicht nur deren Berichte, sondern auch die Gespräche mit den Schülern – „aber das ist nur ein schlechter Ersatz“.
1,3 Millionen Besucher
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) kennt das Problem. Sie ist dieses Jahr zum dritten Mal in Auschwitz, um Schüler durch die Gedenkstätte zu begleiten. 2013 kamen rund 1,3 Millionen Besucher, allein die NRW-Stiftung „Erinnern ermöglichen“ hat in den letzten vier Jahren Reisen für mehr als 10 000 Jugendliche gefördert.
Jetzt ist Löhrmann Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), ihre Amtszeit fällt mit dem Erinnerungsjahr 2014 zusammen, mit dem Gedenken an den Beginn der beiden Weltkriege und den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Sie will Impulse geben – um die deutsche Geschichte für die Schüler des 21. Jahrhunderts lebendig zu halten.
Defizite im Geschichtswissen
In NRW stellt sich die Frage besonders dringlich: Laut einer Studie der FU Berlin gibt es an Rhein und Ruhr vergleichsweise große Defizite beim Geschichtswissen und gleichzeitig besonders viele Jugendliche, die die NS-Zeit positiv sehen.
Hier, in Auschwitz, merkt man davon wenig. Die Elftklässler aus Viersen machen sich keine Illusionen über den Holocaust. Sie laufen durch die Baracken der Häftlinge und stehen an der Rampe von Birkenau, wo die Deportationszüge ankamen. Sie haben gelesen, wie sich Adolf Eichmann verteidigt hat, und über Verführbarkeit nachgedacht.
„Nicht nur ein Text, den man liest“
Auf die Frage von Löhrmann, ob sie manchmal die Nase voll hätten vom NS-Thema, sagen sie trotzdem freimütig: Klar, das komme vor. „Sehr trocken“ sei das manchmal im Unterricht, findet Maximilian Raths (16). Zeitzeugin Zofia Posmysz dagegen hat ihn bewegt: „Es ist eben nicht nur ein Text, den man liest.“
Neben ihm steht Amelie Konopeck und kämpft mit den Tränen. Die 17-Jährige denkt nicht nur an die Geschichte, die sie gerade gehört hat, von der 18-Jährigen Polin Zofia, die aus purer Willkür ins Lager kam und überlebte. Auch, weil es Mithäftlinge und deutsche Aufseherinnen gab, die sie schützten. Amelie denkt auch an das, was die alte Dame nicht erzählt hat. An die Pausen, in denen niemand erfährt, welche Bilder sie gerade vor Augen hat...