Kiew. Ungeachtet eines Kompromissangebots von Präsident Viktor Janukowitsch setzt die ukrainische Opposition ihre Proteste fort. Sie werde nicht von ihren Forderungen abrücken und auf einer Präsidentschaftswahl noch in diesem Jahr bestehen, sagte Oppositionsführer Witali Klitschko. Die Gewalt hält an.

Nach dem gescheiterten Kompromiss zwischen der ukrainischen Staatsführung und der prowestlichen Opposition haben die Regierungsgegner in Kiew ihre Proteste fortgesetzt. Die Demonstranten hätten das Kongresszentrum in der Nähe des Europaplatzes fest in ihrer Hand, teilte die Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko mit. "In den Büros wird Essen und heißer Tee ausgegeben, hier können sich unsere Kampfgenossen aufwärmen", sagte eine Sprecherin der Regierungsgegner. In Kiew herrschte am Sonntagmorgen strenger Frost bei etwa minus 20 Grad.

Sicherheitskräfte mit Tränengas und Blendgranaten hatten versucht, den Sturm auf das Gebäude in der Nacht noch abzuwehren. "Wir haben die Einheiten dann zurückgezogen, damit die Lage nicht weiter eskaliert", sagte Innenminister Witali Sachartschenko. Fernsehbilder zeigten starke Schäden an Fenstern und Türen des Kongresszentrums.

Opposition glaubt Janukowitsch "kein einziges Wort"

Die Partei des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch kündigte an, einer Änderung umstrittener Gesetze zur Einschränkung des Demonstrationsrechts doch zustimmen zu wollen. "Die Novelle ist fertig", sagte der Abgeordnete Nikolai Rudkowski. Die Änderung gilt als Forderung der Opposition um Ex-Boxweltmeister Witali Klitschko.

Janukowitsch hatte der Opposition am Abend überraschend angeboten, die Führung der Regierung zu übernehmen. Ministerpräsident sollte dem Vorschlag zufolge Arseni Jazenjuk von der Vaterlandspartei der inhaftierten früheren Regierungschefin Julia Timoschenko werden. Klitschko von der Partei Udar (Schlag) sollte das Amt des Vizeregierungschefs übernehmen. Zugleich erklärte sich Janukowitsch bereit, die Verfassung zu ändern.

Jazenjuk sagte, er sei "bereit, seiner Verantwortung nachzukommen". Der Führung um Janukowitsch glaube er aber "kein einziges Wort". "Wir werden uns nicht bewegen", versicherte Jazenjuk. Die Opposition fordert Janukowitschs Rücktritt und eine Rücknahme der Gesetze zur Verschärfung des Demonstrationsrechts.

Klitschko kritisiert "vergiftetes Angebot" von Janukowitsch

Klitschko sagte der "Bild am Sonntag": "Das war ein vergiftetes Angebot von Janukowitsch, um unsere Demonstrationsbewegung zu spalten." Die Opposition wolle weiter verhandeln und fordere weiter vorgezogene Neuwahlen. Planmäßig findet die nächste Präsidentschaftswahl in der Ukraine im kommenden Jahr statt.

Unter dem Jubel der Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz kündigte auch Oleg Tjagnibok von der rechtsextremen Freiheitspartei (Swoboda) an: "Der Kampf geht weiter."

Proteste greifen von Kiew auf andere Städte über 

Den ganzen Samstag über hatte es in Kiew gewaltsame Zusammenstöße zwischen proeuropäischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben. In den Tagen zuvor waren mehrere Menschen getötet worden. Die Regierungsgegner gaben die Zahl der Toten mit sechs an, die Regierung bestätigte drei.

Die Proteste weiteten sich zuletzt auch auf andere Städte aus. Demonstranten griffen laut örtlichen Medienberichten Regierungsgebäude im Norden und Osten des Landes an. So stürmten Oppositionsanhänger am Samstag die Sitze der Regionalverwaltungen von Poltawa östlich von Kiew und von Winnizja westlich der Hauptstadt.

Kundgebungen auch in mehrere europäischen Hauptstädten

Unmittelbar vor dem überraschenden Angebot Janukowitschs hatte Innenminister Witali Sachartschenko den Demonstranten noch indirekt mit einer gewaltsamen Auflösung der Proteste gedroht. Der reichste Oligarch des Landes, Rinat Achmetow, ging jedoch auf Distanz dazu. Beobachter werteten dies als Machtkampf innerhalb von Janukowitschs regierender Partei der Regionen.

Aus Solidarität mit den Regierungsgegnern in der Ukraine gab es am Samstag auch in mehreren europäischen Hauptstädten Kundgebungen. In Paris und Warschau zogen jeweils dutzende Menschen in die Nähe der ukrainischen Botschaft, in Vilnius bildeten hunderte Teilnehmer eine Kette von der Botschaft zur EU-Vertretung. Auch in Riga, Prag und London fanden Kundgebungen statt. (dpa/apf)