Essen. . Die türkische Journalistin Candeger Muradoglu war zwei Monate in der WAZ-Redaktion zu Gast. In ihrem Bericht schildert die junge Frau aus Istanbul ihre Begegnungen mit Türken im Ruhrgebiet. Nicht nur deren Sprache versetzte die Journalistin ins Staunen.
Das Wetter ist neblig und bedeckt. Seit meinem ersten Tag in Deutschland will die Sonne sich einfach nicht zeigen. Schwer auszuhalten. Als ich loslaufe, beginnt es zu regnen. Ich eile durch das deutsche Schmuddelwetter, um nicht zu spät zu meiner Verabredung zu kommen. Ich treffe mich mit Yaver. Er kam vor vielen Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland.
Wir haben uns in einem türkischen Teehaus verabredet. Ich finde: ein interessanter Ort. Überall hängen türkische Fahnen. Sobald uns der Tee serviert wird, beginne ich zu fragen. Aber das ist gar nicht nötig, die Sätze purzeln Yaver auch so aus dem Mund.
Das einzige Ziel seit seiner Ankunft sei es, zurückzukehren in seine Heimat, sagt er. „Doch auch wenn wir es wollen, wir können nicht mehr zurück. Wir haben uns längst an Deutschland gewöhnt.“ Von allen türkeistämmigen Einwanderern, mit denen ich spreche, höre ich dasselbe. Es scheint so, dass jeder wieder zurück will.
Seit mehr als 50 Jahren leben Türken in Deutschland. Die als erste kamen, sind alt geworden. Einige von ihnen sind schon zurückgekehrt. Jetzt spielen ihre Kinder und Enkel die Hauptrollen.
Eltern im Altenheim? Unvorstellbar!
Ich sehe, dass die Türken, die schon lange in Deutschland leben, nicht ihre kulturellen Eigenschaften verloren haben. Der Respekt vor den Älteren gehört dazu. Keiner will seine Eltern in ein Heim „abschieben“. Noch immer gilt: Mädchen sollten jungfräulich in die Ehe gehen. Aber gleichzeitig übernehmen sie vieles aus der deutschen Kultur. Und: Obwohl die Deutschen vor allem in den ersten Jahren Vorbehalte gegenüber den Türken hatten, haben sie sich der türkischen Kultur angenähert, nicht nur beim Essen.
Ich habe den Eindruck: Die Deutschen werden türkischer und die Türken deutscher. Die einen kaufen gerne in türkischen Supermärkten ein. Dafür beginnen die anderen, ihr Leben nach strengen deutschen Regeln auszurichten. Sie beachten rote Ampeln und andere Verkehrsregeln. Viele frühstücken auch wie Deutsche: Kaffee, Brötchen, Marmelade.
Eingewanderte Türken lebten bereits in der Heimat sehr traditionell
Vielen Deutschen erscheinen die Türken als abgeschottete Gesellschaft. Sie glauben, dass die Gründe hierfür in einem niedrigen Bildungsniveau und in mangelnden Sprachkenntnissen liegen.
Auch interessant
Es lässt sich beobachten, dass insbesondere jene Türken eingewandert sind, die auch in ihrer Heimat ein traditionelles und zurückgezogenes Leben führten. So ist es im Grunde nicht verwunderlich, dass sie auch hierzulande ein abgeschiedenes Leben führen. Viele haben immer noch Sprachschwierigkeiten, einige können sogar überhaupt kein Deutsch. Mir fällt aber auf, dass auch ihr Türkisch nicht sehr entwickelt ist.
Manchmal mischen sie Deutsch und Türkisch. Das klingt in meinen Ohren seltsam. Ansonsten höre ich ein „ländliches“ Türkisch hier. Der Unterschied zu der Sprache, die die Türken in Metropolen wie Istanbul und Ankara sprechen, ist riesig.
Für mich ist deutlich sichtbar, dass die in Deutschland unter sich lebenden Türkeistämmigen und die Deutschen einander noch immer als Fremde gegenüberstehen. Hierzu sagt Yaver etwas sehr Wahres: „Beide Seiten könnten etwas daran ändern. Sie müssten nur ein wenig mehr miteinander sprechen.“
0:1 gegen die „Biodeutschen“
Die Bühne gehört jetzt der dritten Einwanderer-Generation. Sie ist „deutscher“. Im Grunde ist sie eingeklemmt zwischen zwei Kulturen. In Deutschland geboren, fühlen sie sich weder als Deutsche noch als Türken. Viele sagen mir, sie fühlen sich als „verlorene Generation“.
In Deutschland geborene Türkeistämmige kommen mit einem 0:1 gegenüber den „Biodeutschen“ zur Welt. Kürsat Akçay, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und im Tourismus gearbeitet hat, sieht es so: „Die Deutschen sind uns gegenüber privilegiert. Wenn es darum geht, einen Job zu bekommen, sind sie zuerst dran. Mit schwarzen Haaren steht es Null zu eins gegen dich.“
Auch interessant
Suna Aksoy ist 20 Jahre alt. Ihre Eltern kamen vor 20 Jahren aus dem türkischen Rize nach Deutschland. Ihr Vater ist Arbeiter. Obwohl sie hier geboren wurde, fühlt sie sich nicht als Deutsche. „Ich habe mich noch nie in Deutschland zugehörig gefühlt. Ich war immer eine Fremde. Auch wenn ich hier geboren bin, überlege ich, in Zukunft in der Türkei zu leben. Andererseits habe ich mich an den Lebensstil hier gewöhnt. Es wird schwer für mich, mich an die Bedingungen in der Türkei anzupassen. Aber in 15 oder 20 Jahren kann ich es mir vorstellen.“
Ich bin nicht besonders überrascht. Die Sehnsucht der meisten Türkeistämmigen, mit denen ich hier gesprochen habe, nach der alten Heimat ist riesig. Aber sie dürften dort das, was sie hier vermissen, nicht finden.
Viele Türken glauben, dass diese Rückkehrer gar keine „echten“ Türken sind. Viele Rückkehrer haben Probleme auf dem türkischen Arbeitsmarkt. Ich vermute, es wäre besser für sie, hier in Deutschland nach Bildung und Aufstieg zu streben. Alles andere ist wohl nur ein schöner Traum.