Essen. Der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt feiert Montag seinen 95. Geburtstag. Die Menschen sind fasziniert von Schmidt-Schnauze, der Macht und Moral verbindet. Aus dem einstigen Macher ist längst eine moralische Instanz geworden.

Wer ist der „coolste Kerl“ im Land? Helmut Schmidt, haben die Deutschen den Demoskopen erzählt. Könnte in Deutschland ein Kanzler direkt gewählt werden – und wäre der Kandidat jünger – die Mehrheit der Wähler würde dem Mann aus Langenhorn wohl das Vertrauen aussprechen.

Aber Helmut Schmidt wird Montag 95. Er wird den Tag in seinem Haus im Norden Hamburgs begehen, mit der Tochter und Ruth Loah, die er nach dem Tod von Loki Schmidt als seine neue Gefährtin vorgestellt hat. Vor drei Jahren hat er selbst nicht mehr an diesen Geburtstag geglaubt. Ende 2010 hielt er es, eingehüllt in eine wabernde Wolke von Mentholqualm in Hamburgs Thalia-Theater, für „wohl möglich“, das Jahr 2012 zu erleben. Schmidt-Schnauze lag daneben. Wir haben 2013.

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Was fasziniert die Deutschen an diesem Mann? Kein Gründervater wie Adenauer, kein Visionär wie Brandt, kein Einheitskanzler wie Kohl war er nur: Macher. Immer zu Entscheidungen herausgefordert durch plötzliche Krisen. Ein Manager für Notfälle.

Wie 1962. Da hörte die Welt zum ersten Mal von ihm. Streng gescheitelt übernahm der junge Hamburger Innensenator das Kommando über die Rettungsaktion nach der großen Sturmflut. 315 Menschen starben im Orkan „Vincennes“. Schmidt warf alle Regeln über den Haufen, orderte ohne jede Zuständigkeit die Bundeswehr heran und amerikanische Hubschrauber, die die Leute von den Dächern holten. Er faltete seinen Chef, den Bürgermeister Nevermann, zusammen: „Paul, halt mich nicht mit unwichtigen Fragen auf“. Am Ende hat Hamburg ihm den Einsatz bis heute gedankt.

Schmerzlichste Entscheidung

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Die Hinterzimmer der Politik haben Schmidt nie interessiert. Eher selten ließ er sich, der seit 1949 Mitglied ist, auf SPD-Parteitagen sehen. Die Macher-Mentalität prägte seine Karriere. Nach 1974 war das so, in der Ölkrise der ersten Kanzlerjahre. Auch 1982, als die Sowjets ihre Atomwaffen nachrüsten wollten und „jede Rakete drei Sprengköpfe bekommen sollte, eine für Köln, eine für Essen, eine für Dortmund“ (Schmidt). Vor allem aber im „deutschen Herbst“ 1977, als RAF-Terroristen den Arbeitgeberchef Hanns Martin Schleyer und die „Landshut“ entführten.

Schmidt ist damals hart geblieben. Er ließ die Passagiere auf dem Flughafen von Mogadischu durch den Grenzschutz freischießen und ging auf keinen Austausch ein. Er wusste: Das würde seinen Freund Schleyer das Leben kosten. Noch heute hält er das für die schmerzlichste Entscheidung seiner langen Laufbahn. In diesem Frühjahr bekam er den Hanns-Martin -Schleyer-Preis. „Es rührt mich zutiefst, dass die Familie Schleyer öffentlich ihren Respekt gegenüber meiner damaligen Haltung zu Ausdruck bringt“, sagte Helmut Schmidt in seiner Danksagung.

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Mehr als 30 Jahre nach dem Ende seiner Kanzlerzeit ist er präsenter als manche aktive Politiker. Er ist Herausgeber der „Zeit“, schreibt Bücher, denkt immer noch quer: Für Schmidt sind Atomausstieg und Mindestlohn Unsinn. Zu Amerika geht er auf Distanz. Er macht, Respekt!, „Abschiedsreisen“ nach Peking und Moskau und sagt dem Kremlchef Putin in dem Moment, in dem in Kiew Hunderttausende für eine Annäherung der Ukraine an Europa demonstrieren, wie unfähig Europas Politiker sind. Kein Respekt!

Macher und moralische Instanz

Doch aus dem einstigen Macher ist längst eine moralische Instanz geworden. „Wir Deutschen sehen in ihm eben all das, was für uns gut ist“, hat Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole van Beust (CDU) festgestellt. Dafür wird der Alte aus Langenhorn nicht geliebt. Aber hoch geachtet.