Moskau. . Überraschend hat Kremlchef Putin die Begnadigung seines seit zehn Jahren eingesperrten Gegners Michail Chodorkowski angekündigt. Zudem sollen im Zuge einer Amnestie die inhaftierten Sängerinnen der Punkband Pussy Riot freikommen. Experten vermuten einen Zusammenhang mit den Olympischen Spielen.

Freiheit für Russlands berühmtesten Gefangenen: Völlig überraschend hat Kremlchef Wladimir Putin die Begnadigung seines seit zehn Jahren inhaftierten Gegners Michail Chodorkowski angekündigt.

Der frühere Öl-Milliardär habe ein Gnadengesuch gestellt, das er unterschreiben werde, sagte Putin am Donnerstag in Moskau. Zudem sollten im Zuge einer Massenamnestie die beiden zu je zwei Jahren Straflager verurteilten Mitglieder der kremlkritischen Punkband Pussy Riot freikommen.

Der sensationelle Schritt gilt als Zugeständnis des Kreml an den Westen vor den ersten Olympischen Winterspielen in Russland, die am 7. Februar im Schwarzmeerort Sotschi eröffnet werden. Westliche Politiker sowie Menschenrechtler hatten immer wieder Freiheit für politische Gefangene in Russland gefordert. Zudem sah sich Russland in jüngster Zeit wegen der Menschenrechtslage verstärkt mit Aufrufen zu einem Olympia-Boykott konfrontiert.

Michail Chodorkowski seit zehn Jahren im Gefängnis

Die Sensation lieferte Wladimir Putin gewissermaßen durch die Hintertür. Der russische Staatschef hatte die 1300 Journalisten bei seiner 8. Jahrespressekonferenz in Moskau schon mit guten Neujahrswünschen entlassen, die TV-Kameras waren abgestellt, als Putin der Nachrichtenagentur Interfax verkündete, er werde demnächst Michail Chodorkowski begnadigen.

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Von Gudrun Büscher

Der ehemalige Ölmilliardär, der seit 2003 erst wegen Steuerhinterziehung und Betrugs, dann wegen Diebstahls im Gefängnis sitzt, habe schriftlich um Gnade gebeten. „Er beruft sich auf humanitäre Umstände, seine Mutter ist krank“, sagte Putin. Er werde in nächster Zeit Chodorkowskis Begnadigung anordnen.

Streit um angebliches Schuldeingeständnis Chodorkowskis

Kurz darauf aber erklärte Chodorkowskis Rechtsanwalt Wadim Kljuwgant der Agentur Reuters, Chodorkowski habe um keine Begnadigung gebeten. „Das ist nicht der Fall gewesen und kann es auch nicht sein.“ Kljuwgants Kollegin Karina Moskalenko sagte dem Internetportal gazeta.ru, Chodorkowski habe bei ihrem jüngsten Treffen kein Wort über ein Gnadengesuch verloren.

Putins Pressesprecher Dmitri Peskow aber bezeichnete Chodorkowskis Gnadengesuch gegenüber Interfax als Eingeständnis seiner Schuld. Chodorkowski hatte zuvor wiederholt erklärt, er werde nicht um Gnade bitten, da das einem Schuldbekenntnis gleichkomme.

Später erschien auf Chodorkowskis Website eine Pressemitteilung, alle Kommentare seiner Rechtsanwälte seien ungültig, bis sie sich mit ihm getroffen hätten. Es bleibt also abzuwarten, was Russlands prominentester Häftling selbst sagt. Der Moskauer Aktienindex RTS allerdings stieg gestern Nachmittag um 1,5%.

Chodorkowskis zweite Verurteilung war ein Justizskandal

Viele Menschenrechtler glauben, der frühere Jukos-Chef sei ins Gefängnis geraten, weil er Putin persönlich mit Kritik an seiner korrupten Umgebung erbost hatte. Gerade das zweite Urteil gegen Chodorkowski und seinen Geschäftspartner Platon Lebedjew gilt nach Ansicht von Rechtsexperten als Justizskandal.

Im Dezember 2010 wurden ihre Haftstrafen von acht auf insgesamt 14 Jahre Haft erhöht, weil sie den Tochterfirmen ihres Konzern Jukos deren Öl gestohlen haben sollen. Später wurde die Strafe auf elf Jahre gesenkt, Chodorkowski wird sie kommenden August abgesessen haben.

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Wladimir Putin demonstrierte schon während der Pressekonferenz ungewohntes Wohlwollen gegenüber Chodorkowski. Auf die Frage nach einem dritten Ermittlungsverfahren gegen den früheren Ölmilliardär wegen Bestechung von Experten im Rahmen des zweiten Jukos-Prozesses sagte Putin, er verstehe als Beobachter nicht, wo da ein Straftatbestand sein solle.

Vor der Presse machte Putin seine Putin-Sprüche

Allerdings zeigte sich der Präsident bei anderen Menschenrechtsfragen eher bissig. Auf die Frage einer Journalistin, was er als Mann tun würde, wenn Einsatzpolizisten eine junge Frau verprügelten, sagte Putin, er glaube nicht, dass so etwas möglich ist. „Das sind so kräftige Jungs, die haben es absolut nicht nötig, Mädchen zu verhauen. Aber wenn ein Mädchen sagt, es wolle einem Polizisten die Augen ausstechen, müssen sie was unternehmen.“

Auch dass Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, zwei Mitglieder der feministischen Punkband „Pussy Riot“, unter die am Mittwoch verkündete Amnestie fallen, sieht Putin nicht als Revision des Urteils gegen sie. „Sie tun mir weniger leid, weil sie im Gefängnis sitzen“, sagte Putin. „Sondern weil sie Ungeheuerlichkeiten begangen haben, die meiner Meinung nach die Würde der Frauen erniedrigen.“ Die Aktionskünstlerinnen hatten im Februar 2012 in der Moskauer Erlöserkirche einen Anti-Putin-Tanz aufgeführt und wurden wegen Rowdytums zu zwei Jahren verurteilt.

Die Amnestie gilt für 20.000 Strafverfolgte

Die Amnestie, in deren Genuss etwa 20.000 Strafverfolgte, davon bis zu 2000 Häftlinge, kommen sollen, gilt außer für Pussy Riot auch für die 30 Greenpeace-Aktivisten, die im September von der russischen Küstenwache festgenommen worden waren, sowie für mehrere Teilnehmer an einer Massendemonstration im Mai 2012 auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz, wo es zu Schlägereien mit der Polizei gekommen war.

Die ersten zwei von ihnen wurden am Donnerstag entlassen. Und Dmitri Kuminow, Aktivist der Gruppe „Free Pussy Riot“ sagte unserer Zeitung, Angehörige der beiden Punksängerinnern warteten vor den Gefängnistoren bereits auf ihre Freilassung. „Aber es ist unklar, wann die Mädchen freikommen. Die Prozedur kann bis zu sechs Monate dauern. Wir hoffen jedoch, dass sie in den nächsten Tagen entlassen werden.“

Wie Kuminow glaubt auch der Menschenrechtler Sergei Dawidis, dass die Amnestie und Putins Milde mit der Winterolympiade zusammenhängt, die im Februar in Sotschi stattfindet. „Das ist eine situationsbedingte Liberalisierung vor den Spielen.“ Er befürchte, nach der Olympiade werde die Suche nach Feindbildern und der harte Kurs gegen die Opposition fortgesetzt.