Bochum. . In Bochum, beim berühmtesten SPD-Ortsverein Deutschlands, der schon Wolfgang Clement aus der Partei werfen wollte, freuen sich die Genossen nicht über das Mitgliedervotum. An der Basis mitten im Revier träumen viele Parteimänner und -frauen weiter von einer linken Regierung.
Der SPD-Ortsverein Bochum-Hamme ist der „berühmteste Ortsverein Deutschlands“, seit die Genossen um Rudi Malzahn 2008 ein Partei-Ausschlussverfahren gegen den früheren Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in Gang brachten. Malzahn gegen Clement hatte damals was von „David gegen Goliath“. Seitdem waren viele Journalisten hier, und sie kommen immer wieder. Auch an diesem Samstagabend nach dem erfolgreichen Mitgliederentscheid der SPD.
Ort des Geschehens: „Haus Stang“, eine urige Ruhrgebiets-Gaststätte mit VfL-Schal an der Wand und Weihnachtsbaum in der Ecke. Gemütlich, aber eng, laut und dunkel. Der Kameramann, der für Günther Jauchs ARD-Talk filmt, scheppert mit der Kamera vor einen Barhocker, der Wirt hat seine liebe Müh’ und Not, in dem Durcheinander das Pils heile zu den Genossen zu bringen.
In Bochum-Hamme gehen die Uhren anders
Ur-Bochum ist das hier, und deshalb gehen die Uhren auch etwas anders als bei der Bundes-SPD. Gerade erst hat Sigmar Gabriel in der Tagesschau von einem „Fest für die Demokratie“ geschwärmt, Minuten später erklärt Rudi Malzahn „seinem“ Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer, dem einzigen Krawattenträger hier, warum dieser Tag für ihn gar nicht so festlich ist.
„Wir haben eine Bürgerversicherung gefordert. Wir sind für Steuererhöhungen für Wohlhabende. Wann kommt das? Es gibt genug Leute, die ein Schweinegeld verdienen, warum geht man da nicht ran?“, fragt der Ortsvereins-Chef. Malzahn spricht mit tiefem Bass die Sprache, die man im Hamme eben so spricht. Das kommt rustikal rüber neben dem leichten hessischen Akzent des Abgeordneten.
Und Malzahn, der, wie viele seiner Parteifreunde vor Ort, gegen den schwarz-roten Koalitionsvertrag gestimmt hat, macht sich Gedanken darüber, warum 100.000 Mitglieder nicht abgestimmt haben: „Weil sie das nicht wollten.“ Weil, so die Vermutung, die vielleicht gegen den Koalitionsvertrag sind.
14 Sozialdemokraten sitzen in der Runde. Sie stammen aus Hamme, aus dem benachbarten Ortsverein Schmechtingtal und aus Hofstede. Auffällig viele von ihnen haben mit „Nein“ gestimmt. Die bodenständige Ruhrgebiets-SPD ist offenbar nicht so leicht zu überzeugen von großen Koalitionären.
Viele Sozialdemokraten hätten lieber Rot-Rot-Grün gesehen
Frederic Sporc (25, Juso) gehört zu den Nein-Sagern. „Ein bisschen Wischi-Waschi“ nennt er den Koalitionsvertrag mit der Union. Er fragt sich, wie das alles zu finanzieren sei – ohne Steuererhöhungen. Auch Klaus Amoneit, Malzahns Stellvertreter, bleibt skeptisch. Direkt nach der Bundestagswahl hatte der Ortsverein Hamme einen Antrag an den Parteikonvent in Berlin geschickt mit der Aufforderung, mit Grünen und Linkspartei über eine Koalition zu verhandeln. „Rot-Rot-Grün wäre besser gewesen“, findet Amoneit.
Nicht alle denken so. Reiner Lehmkuhl, SPD-Stadtbezirksvorsitzender, hat auf der Stimmkarte „Ja“ angekreuzt. Er erzählt von vielen kontroversen Gesprächen, von einem „50:50-Gefühl“ in der Partei. Der Ortsverein Schmechtingtal hat sogar mit den Bürgern über den Koalitionsvertrag diskutiert, obwohl gar kein Wahlkampf mehr war: am Nikolaustag vor dem Aldi, erzählt Volker Heye, übrigens auch ein „Ja-Sager“.
Votum hat die Partei mobilisiert
Ob Heye, Amoneit oder Lehmkuhl, sie alle meinen, dass der Mitgliederentscheid an sich eine großartige Sache war. Darin sind sie mit dem Vorsitzenden Gabriel einig: Das Votum hat die Partei mobilisiert.
Aber sonst? Sonst fehlt die Leidenschaft für Schwarz-Rot. „Wir müssen jetzt mit diesem Koalitionsvertrag leben“, sinniert Klaus Amoneit, und das klingt nicht begeistert. „Wenn Merkel sich nicht an den Koalitionsvertrag hält, dann müssen wir aus der Großen Koalition raus“, sagt er.
Man könnte meinen, das ist für ihn ein schöner Traum.