Essen. Mit der glatten Wahl von Ministerpräsident Peter Müller hatte die Jamaika-Koalition im Saarland gestern einen ordentlichen Start. Weitere Koalitionen von CDU, FDP und Grünen auf Landesebene sind jederzeit möglich, denn die Parteien bewegen sich erkennbar aufeinander zu.

Das Saarland ist klein, seit gestern aber Schauplatz eines großen Experiments. Mit allen 27 möglichen Stimmen wurde Ministerpräsident Peter Müller (CDU) von einer neuen Koalition aus Grünen, FDP und seiner eigenen Partei im Amt bestätigt. Für dieses erste Jamaika-Bündnis auf Landesebene ist das ein Auftakt nach Maß, der so nicht unbedingt zu erwarten war. Denn in allen anderen schwierigen Länderkoalitionen der letzten Wochen – Rot-Rot in Brandenburg, Schwarz-Rot in Thüringen – ging die Wahl des Regierungschef nicht ohne Gegenstimmen aus dem eigenen Lager ab. Im Saarland hingegen: bisher schönste Harmonie.

Natürlich muss die Praxis zeigen, ob Jamaika wirklich taugt. Viel spricht aber dafür, dass es sich so verhält wie bei anderen Tabus auch: Wenn sie einmal durchbrochen sind, verlieren sie ihren Schrecken und erstaunlich schnell sind sie Teil der Normalität.

Und die Zeit scheint reif, jeder spürt, dass etwas in Bewegung geraten ist. Linke Grüne wie Claudia Roth und Jürgen Trittin waren beim Parteitag im Oktober in Rostock zwar bemüht, Jamaika herunterzuspielen: „Kein Modell für den Bund.” Gleichzeitig haben grüne Landespolitiker klargestellt: Wir machen, was wir politisch für richtig halten. Wenn wie im Saarland die „grünen Inhalte” unübersehbar im Koalitionsvertrag stehen, gibt es keinen Grund, das Bündnis mit CDU und FDP zu verdammen. Selbst die NRW-Grünen die im Bundesspektrum der Partei immer noch eher links verortet sind, schließen nichts aus. Und der Landesparteitag der Linken, der die rot-rot-grüne Option schwer beschädigte, dürfte das Nachdenken noch befördert haben.

Überschätzte Atom-Frage

Dennoch: Es sind die Grünen, die sich in einer Jamaika-Koalition am meisten bewegen müssen. Dabei geht es weniger um politische Fakten, sondern mehr um liebgewonnene Feindbilder, Mythen und solide Vorurteile. Längst sind CDU und selbst FDP in der Ökologie-Frage den Grünen entgegengekommen, längst wurde das Gesellschaftsbild der Union kräftig – manche sagen zu kräftig – entstaubt. Auch die FDP ist ja in Wahrheit geschmeidiger als es Westerwelles Rhetorik aus Oppositionszeiten glauben machen wollte. Umgekehrt wissen viele Grüne schon lange, dass mit Öko-Fundamentalismus kein Staat zu machen ist.

Natürlich bleiben Differenzen. Doch so sehr die Grünen etwa auf der Atom-Frage herumreiten, so klar ist, dass die CDU so schrecklich weit nicht entfernt ist – verglichen jedenfalls mit den argumentativen Schützengräben, die dieses Thema früher prägte. Hinzu kommt: Grüne und CDU haben wertkonservative Fundamente, auch wenn dies in der Tagespolitik nicht immer deutlich wird. Lässt man Flügel-Figuren wie den beinharten Berliner Traditions-Grünen Hans-Christian Ströbele beiseite, bewegen sich die Hauptströmungen beider Parteien aufeinander zu.

Komplizierter ist das Verhältnis zwischen Grünen und FDP – gerade weil sich die jeweilige Klientel bei Herkunft, Ausbildungsstatus und (meist gutem) Einkommen so ähnlich ist. Die Grünen halten sich dabei für Idealisten und ihre liberalen Gegner für Egomanen. Nur langsam sickert ins Bewusstsein, dass es ökobewusste Egomanen wie auch liberale Idealisten gibt und vor allem jede Menge Zwischentöne. So löst die Anrufung von Guido, dem Schrecklichen auf Grünen-Parteitagen bis auf weiteres zuverlässig Entsetzen aus, während der „Ökosozialist” Trittin ein ähnlicher Knüller bei der FDP ist.

Man muss diese Folklore verstehen, sie hat tiefe Wurzeln. Schon auf dem Schulhof hassten sich die damals äußerlich lässigen Grünen und die sauber gescheitelten Aktenköfferchenträger der Jungen Liberalen nach Kräften. Inzwischen sind Anzüge und Krawatten ähnlich geworden und die Inhalte erscheinen zumindest kompromissfähig. Ein umso zäheres Leben führen lang gehegte Ressentiments, die man nicht zuletzt aus Gründen der Selbstvergewisserung ungern aufgibt.

Links ist es eng und stickig geworden

Wie auch immer: Die Grünen sind auf dem Weg in die Mitte, schon weil dies in der Logik ihrer Entwicklung liegt. Sie werden zur Scharnierpartei wie früher die FDP, auch wenn das Grüne ungern hören. Nicht zuletzt gibt es links nur eine unsichere Machtoption. Den Grünen ist zu Recht unwohl bei dem Gedanken, mit einer verunsicherten SPD und einer unberechenbaren Linkspartei im politischen Lager eingesperrt zu sein. Und: Viele Grüne empfinden die Extremisten unter den Linken zunehmend als Zumutung.

Links ist es eng geworden und auch ziemlich stickig. Das grüne Milieu will da raus. Zögernd, aber doch erkennbar.