Berlin. . Der neue FDP-Chef Christian Lindner will die Liberalen mit Attacken auf Schwarz-Rot und einem eigenständigen Kurs 2017 zurück in den Bundestag bringen. Als Lehre aus dem historischen Absturz bei der Wahl werde die FDP kein Anhängsel der Union mehr sein.

Für Christian Lindner ist die Zeit der Trauerarbeit zu Ende. Mit ihm als Chef will die FDP neu starten. Das Wir entscheidet: Wenn einer aus der Führung angegriffen werde, „dann bekommt er es mit der gesamten FDP zu tun“. Geht Lindners Wunsch in Erfüllung, dann hätte er schon mehr als sein Vorgänger Philipp Rösler erreicht.

Rösler bekannte auf dem FDP-Parteitag am Wochenende in Berlin: „Mir ist es nicht gelungen, ein Team zu bilden, unsere Partei zu motivieren, die inhaltliche Kehrtwende zu bewirken.“ Das tut ihm weh.

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Den NRW-Verband hat Lindner neu aufgestellt. Nun hoffen die Liberalen, dass ihm das Kunststück ein zweites Mal gelingt, diesmal eine Liga höher. Er stützt sich auf NRW und Hessen. Von dort holte er Generalsekretärin Nicola Beer und auch Schatzmeister Hermann-Otto Solms. Den Job hatte er schon mal. Er kennt die Finanzen und wenige können so überzeugend Spenden eintreiben wie eben Solms.

Die Partei bleibt pro-europäisch

Als Stellvertreter stehen Lindner der Kieler FDP-Mann Wolfgang Kubicki, die Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Uwe Barth aus Thüringen zur Seite. Zwei Frauen, ein Ostdeutscher, ein junger Chef, ein alter Haudegen als Vize – die Führung ist ausbalanciert.

Den ersten Test auf seine Autorität hat Lindner in Berlin bestanden: Euro-Rebell Frank Schäffler trat gegen die Frau aus Düsseldorf an. Schäffler verlor. Es ist mehr als eine Personalie. Die FDP bleibt pro-europäisch. Das machte Lindner in seiner Antrittsrede auch sehr klar.

Die FDP will nicht in Sack und Asche (Kubicki) gehen. Ebenso wenig steht inhaltliche Runderneuerung an. Es geht mehr um den Auftritt. Lindner will mit den Gewerkschaften reden – „alte Schützengräben“ überwinden. Der Markt brauche Regeln, meint Lindner und denkt wohl an Quasi-Monopolisten wie Google. Neue Töne!

Es fiel auch auf, dass er sich wenig an den Grünen abgearbeitet hat. Warum? Zum einen lief die FDP Gefahr, das Gefühl für bürgerliche Wähler zu verlieren. Nicht jeder, der in den Bio-Laden fahre, sei bei den Grünen, hieß es. Zum anderen will er sich zu SPD und Grünen öffnen. Lagerdenken sei „Geschichte“.

Darin drückt sich auch Wut über den früheren Wunschpartner aus – die Christdemokraten. Über deren „Freude am Wahlabend“ sei er besonders enttäuscht, so Rösler. Drastischer drückte es Michael Kauch aus Dortmund aus: „Ich habe die Schnauze voll davon, dass wir an ,Muttis’ Rockzipfel hängen.“ Es geht um Emanzipation. Von der Kanzlerin.

„Wir haben es vergeigt“

Stundenlang haben sie Selbstkritik geübt, Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle vorneweg. „Wir haben es vergeigt“, sagte Jimmy Schulz aus Bayern. Die Gründe dafür liegen weit zurück, 2009 oder früher. Es war offensichtlich, dass Guido Westerwelle gemeint war.

Als Lindner gestern seine Antrittsrede hielt – am Vortag war er mit über 79 Prozent gewählt worden –, war der 22. September nicht mehr sein Thema. Wie redet man zu einer Partei, die nicht mehr im Bundestag sitzt? Man appelliert an ihren Stolz. Lindner redete über Ludwig Erhardt und die Marktwirtschaft, über die Spiegel-Affäre, über europäische und deutsche Einheit, über weitere Schlüsselsituationen, in denen sich der FDP-Kompass bewährt hat. Lindner will, dass seine Partei sich Respekt zurückerarbeitet. Die nächste Chance bietet sich im Frühjahr mit der Europawahl an.