Washington. Jeden Tag hat der US-Geheimdienst NSA bis zu fünf Milliarden SMS, E-Mails und Anrufe von Handys auf der ganzen Welt abgefangen. Das Datenvolumen kann laut Berichten der “Washington Post“ kaum mehr überblickt werden. Auch Telefone amerikanischer Staatsbürger sollen betroffen sein.
Das Arbeitsprinzip des ihm unterstehenden Geheimdienstes „National Security Agency“ (NSA) hatte US-General Keith Alexander einmal mit einem Bild beschrieben, das seit den Enthüllungen von Edward Snowden ebenso bekannt wie berüchtigt ist: „Man muss einen Heuhaufen bilden, um die Stecknadel darin zu finden“.
Für Alexander bedeutet das: Wo immer die NSA Textmitteilungen, E-Mails oder Telefongespräche erfassen und speichern kann, sollte sie das zum Zwecke der Terror-Prävention auch tun. Und zwar weltweit. Durch den Geheimnisverrat des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Snowden, der in Moskau Asyl gefunden hat, werden seit Juni im Wochentakt Details bekannt, was man sich in der Praxis darunter vorstellen muss, wenn Amerika die ganze Welt unter Generalverdacht stellt. Nun stieß die „Washington Post“, eine der wenigen Zeitungen, die von Snowden mit Unterlagen bedacht wurde, dabei in neue Dimensionen vor.
Täglich bis zu fünf Milliarden Datensätze
Danach sammelt der Geheimdienst mit Hilfe des Programms „Co-Traveler“ täglich bis zu fünf Milliarden Datensätze von Handys auf der ganzen Welt. Betroffen seien die Ortungsdaten von „mindestens hunderten Millionen Geräten“. Dadurch, so der Autor Barton Gellman, ließen sich nicht nur jederzeit weltweit jede x-beliebigen Zielpersonen lokalisieren. Auch deren telefonische Kontakte mit möglicherweise Unverdächtigen würden für unbestimmte Zeit gespeichert. So entstünden komplette Bewegungsprofile und Beziehungsnetze.
Das dabei entstehende Daten-Volumen sprengt laut „Washington Post“ jedes Vorstellungsmögen. Daten im Umfang von 27 Terabytes - doppelt so viel wie sämtliche Textinhalte in der riesigen Kongress-Bibliothek in Washington - würden vorgehalten. Eine Menge, vor der offenbar selbst die NSA kapituliert. In einem internen Bericht des Dienstes aus dem vergangenen Jahr heißt es: Das Datenvolumen „übersteigt unsere Möglichkeiten, es zu aufzunehmen, auszuwerten und zu lagern“.
NSA bestätigt die Angaben im Kern
Gellman und seine Mitautoren, die seit Monaten exklusive Berichte auf Basis von Snowden-Papieren veröffentlichen, konfrontierten die NSA mit den Details. Ihnen wurde ein namentlich nicht genannter Agent zur Verfügung gestellt, der die Angaben im Kern bestätigte. Danach zapfe der Dienst weltweit an zehn zentralen Knotenpunkten der großen Mobilfunkbetreiber besagte Datenmengen ab. Aus der Rohmasse würden später, je nach Schwere des Verdachtsmoment, Details destilliert.
Dass dabei auch massenhaft Handy-Gespräche betroffen sind, die in Amerika geführt werden, räumte die NSA kleinlaut ein. Ohne beziffern zu können (oder zu wollen), in welchem Umfang Landsleute betroffen sind. Ein Unding, denn das Gesetz in den USA verbietet genau das. Die NSA spricht daher von einem "zufälligen" Nebenprodukt der weltweiten Massenüberwachung.
Mehrheit der Amerikaner steht hinter der NSA
Im Kongress in Washington wurde der Bericht mit großem Interesse registriert. Dort versuchen die Abgeordneten Wyden, Sensenbrenner und Leahy, die NSA stärker zu kontrollieren und ihren Aktionsradius massiv einzuengen; bislang ohne Erfolg. Laut Umfragen steht eine Mehrheit der Amerikaner hinter den Maßnahmen der NSA, die stets betont, dass amerikanische Staatsbürger so gut wie nicht davon betroffen seien. Mehrere Berichte auf der Basis von Papieren aus dem Fundus von Edward Snowden haben in den vergangenen Wochen Zweifel an dieser Darstellung ausgelöst.
Zeke Johnson, Direktor von Amnesty International USA, Abteilung Menschenrechte, rief das Parlament gestern zu einer Reform der NSA-Datensammelprogramme auf. „Wie viele Enthüllungen brauchen wir denn noch, bis etwas geschieht?“, fragte Johnson. Für Chris Soghoian, Technik-Experte bei der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union, ist nach dem Bericht der „Washington Post“ klar, dass weder Verschlüsselungsprogramme oder verschleierte Identitäten vor dem Zugriff der NSA-Lauschapparat schützen können. „Die einzige Möglichkeit ist, sich von den modernen Kommunikationsnetzen abzukoppeln und in einer Höhle zu leben.“