Düsseldorf. . 6500 Studierende haben eine Petition unterschrieben, in der sie die Abschaffung der Latinums-Pflicht für das Lehramtsstudium fordern. Es nutze nichts, erfordere stattdessen aber einen extremen Zeitaufwand. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann will die Latein-Pflicht bis zum Ende des Jahres überprüfen.

Wolfgang Große Brömer nennt sich selbst einen „gequälten Altsprachler“. Neun Jahre lang habe er Latein als Schüler lernen müssen, sagt er, dazu sechs Jahre Altgriechisch. „Gebracht hat es mir nichts“, befindet der Gesamtschuldirektor aus Oberhausen rückblickend. Englisch dagegen hatte er in der Schule nur fünf Jahre – „und das ist die einzige Sprache, mit der ich heute noch was anfangen kann.“

Neben bisher 6500 Studierenden hat der SPD-Politiker eine online-Petition unterschrieben. Sie soll helfen, die Latinums-Pflicht für Lehramtsstudenten in NRW weitgehend abzuschaffen. Die Initiative ging vom AStA der Uni Bochum aus – im konkreten Fall kein kleines gallisches Dorf, das auf sich allein gestellt wäre. Der Senat stützt die Forderung, andere Hochschulen ziehen mit. Die Botschaft ist in Düsseldorf angekommen, und sie trägt Früchte.

„Das Latinum ist eine überflüssige Hürde fürs Studium“, sagt Große Brömer, „wir brauchen es nicht mehr.“ Als Vorsitzender des Schulausschusses im Landtag hat sein Wort in der Debatte ein gewisses Gewicht. Auch die grüne Hochschulexpertin Ruth Seidl hält den geforderten Latein-Abschluss für nicht mehr „zeitgemäß“. Was die leidgeprüften Studenten wollen, bringt es Große Brömer politisch auf den Punkt, sei „mehrheitsfähig“.

Vielen Studenten erschließt sich der Sinn nicht

An den NRW-Hochschulen stürzen sich jedes Jahr tausende Erstsemester mit viel Aufwand ins Latinum. Wer Lehrer an einem Gymnasien oder einer Gesamtschule werden will, kann Sallust oder Cicero nicht entgehen, wenn er Fächer wie Englisch, Französisch, Spanisch, Geschichte, Philosophie oder Religion wählt. Wer über Jahre kein Latein in der Schule gelernt hat, muss es nachholen, neben den normalen Kursen. Das dauert meist drei Semester, endet mit einer Prüfung und bedeutet „eine erhebliche Mehrbelastung“, so AStA-Vorsitzender Tim Köhler.

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Vor allem aber erschließt sich vielen Studenten der Sinn nicht. „Das Latinum wird nicht benötigt, um den Schülern später Wissen zu vermitteln“, sagt Köhler, „wir züchten Fachidioten heran.“ Das ist der Tenor der Kritik. „Meine eigentlichen Fächer, die ich unterrichten möchte, kommen dabei viel zu kurz“, klagt eine Petentin. Viele Unterzeichner beschweren sich, der Leistungsdruck im Bachelor-/Mastersystem sei auch ohne Latein sehr hoch.

Bafög-Anspruch gefährdet

Die Folge sind laut Köhler längere Studienzeiten. Dabei verlören Betroffene oft ihren Bafög-Anspruch. Nicht selten brächen Studenten ihre Hochschul-Ausbildung entnervt ab. Erstsemester, die mit dem doppelten Abi-Jahrgang in diesem Herbst an die überfüllten Unis drängten, erwartete mit dem Latinum ein zusätzlicher Nachteil. Manche wechselten in andere Länder wie Niedersachsen, wo Latein im Studium eine geringere Rolle spielt.

In NRW wurde sogar für künftige Mediziner das Latinum gestrichen. Die Lehrergewerkschaft GEW hält es für „antiquiert“. „Die Studenten müssen hart ran und morgen fragt kein Mensch mehr danach“, so Landesgeschäftsführer Michael Schulte. Anders die Landtags-CDU, die eine „Schmalspur-Lehrerausbildung“ befürchtet. „Wer das Abendland verstehen will, darf nicht nur Asterix lesen“, gab der Abgeordnete Stefan Berger zu bedenken.

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Doch die Riege der strammen Lateiner ist überschaubar. Mit dem Philologenverband geht der CDU sogar ein Bündnispartner von der Fahne. Die geltende Landesregelung sei „zu strikt“, meint Landeschef Peter Silbernagel. Ohnehin sei das Studium heute „sehr verschult“. Den Nachweis von „Lateinkenntnissen“, der mit weit weniger Stress für Studenten verbunden wäre, hielte Silbernagel in bestimmten Fächern für völlig ausreichend. Dass darunter der Stellenwert des Fachs Latein in der Schule leiden könnte, befürchtet er nicht.

Jetzt warten alle auf die Schulministerin. Sylvia Löhrmann will die Forderung nach „einer Anpassung der Latinumspflicht“ bis Jahresende prüfen. Mit einem gern strapazierten Klischee hat die Grüne bereits aufgeräumt. Auf den Einwand der CDU, Latein schule das argumentative Denken, erwiderte sie: „Man kann auch auf Deutsch denken lernen.“