Berlin.. Es gibt nur wenige Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen Union und SPD. Und niemand weiß, wie die Vorhaben finanziert werden sollen. Viel Arbeit für Merkel, Seehofer und Gabriel - denn sie müssen am Ende mit ihren Machtworten entscheiden.
Zur Halbzeit der Koalitionsverhandlungen ist die Bilanz durchwachsen: Die Unterhändler von Union und SPD haben vor allem das abgearbeitet, was unstrittig war. Auf zentralen Konfliktfeldern – Finanzen oder Mindestlohn – gibt es kaum Fortschritte. Einige Arbeitsgruppen flüchten sich in Formelkompromisse und Prüfaufträge.
Andere Unterhändler haben akzeptiert, dass sie ihre Knackpunkte in Wahrheit gar nicht lösen sollen. Die großen Streitfragen werden in der letzten Novemberwoche die drei Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel klären – im großen Tauschhandel, die Kompromisslinien stehen überwiegend fest.
Nur ein Problem macht den Parteispitzen wirklich Sorgen: Die Finanzierung der vielen Vorhaben, die zusammen zwischen 25 und 50 Milliarden Euro kosten könnten, ist offen.
Die Union stellt jetzt sogar Kernanliegen wie eine Kindergelderhöhung in Frage. Und in der SPD wird nun doch wieder über Steuererhöhungen diskutiert – obwohl Parteichef Gabriel das Nein der Union zu höheren Steuern stillschweigend längst akzeptiert hat.
Ein Überblick, was vereinbart wurde oder später vereinbart wird:
Pkw-Maut
Die Verkehrspolitiker konnten sich gestern wieder nicht verständigen. Es gebe noch offene Fragen, nächste Woche werde weiterdiskutiert. Das Problem: Die vorgesehene Entlastung für Inländer bei der Kfz-Steuer dürfte für Kleinwagen-Besitzer zu wenig bringen. Doch ein führender Unterhändler versichert: „Horst Seehofer bekommt seine Trophäe, aber erst ganz zum Schluss – und sie hat ihren Preis.“
Dem Vernehmen lautet der Kompromiss so: Die Koalition erklärt ihren Willen, eine Pkw-Maut per Vignette einzuführen, aber unter strengen Bedingungen – wenn die Maut mit EU-Recht kompatibel ist (was umstritten ist), wenn deutsche Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden und der bürokratische Aufwand vertretbar bleibt. Details würden später geklärt.
Innere Sicherheit
In der Arbeitsgruppe Justiz und innere Sicherheit geht es zur Sache. Die Christdemokraten lehnen eine Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe ab; ebenso wenig sollen sie für diesen Personenkreis das Adoptionsrecht verbessern. SPD und Union konnten sich nicht auf eine Beteiligung von Bundestag und Regierung am NPD-Verbotsantrag der Länder einigen. Zur Vorratsdatenspeicherung wollen sie erst ein EU-Urteil abwarten.
Streitig sind das Wahlrecht ab 16, Höchstgrenzen für Parteispenden, mehr direkte Demokratie. Lauter SPD-Forderungen, gegen die sich die Union stemmt. Einig ist man sich bei einer Beweislastumkehr: Man will Gewinne von kriminellen Banden abschöpfen. Es liegt an ihnen, zu beweisen, dass Gewinne legal waren.
Mindestlohn, Verteidigung und Energie
Mindestlohn
Auch der Mindestlohn wird am Ende von den Parteichefs entschieden. In der Nacht zu Freitag verständigte sich die Arbeitsgruppe darauf, die Knackpunkte lieber auszuklammern. Einigkeit gibt es aber schon, dass eine Kommission vorrangig aus Gewerkschaften und Arbeitgebern eingerichtet werden soll, die zumindest über spätere Erhöhungen des Mindestlohns entscheidet.
Weil die SPD ohne einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro keinen Koalitionsvertrag unterschreiben will, sieht die Kompromisslinie dem Vernehmen nach etwa so aus: Der Mindestlohn kommt erst 2015 oder 2016. Und: Die Kommission könnte die Auswirkungen prüfen, gegebenenfalls nachsteuern.
Verteidigung
Die Reform der Bundeswehr wird von der SPD nicht streitig gestellt: Soll-Stärke, Beschäftigtenzahlen und Standorte. Die Reform wird aber überprüft – und nachgebessert, wenn nötig. Ein anderes Beispiel für die „Schaun-mer-mal-Methode“: Die SPD hält daran fest, dass der Bundestag über Auslandseinsätze befindet. Sie stimmte auch zu, die Bundeswehr mit anderen Armeen zu vernetzen: Stäbe, Transport, Luftbetankung, Aufklärung - vieles ließe sich gemeinsam regeln.
Wie stellt man sicher, dass das Parlament dann noch das letzte Wort behält? Die SPD will in den nächsten vier Jahren nach einer Lösung suchen. Und de Maizière setzt darauf, dass sich das Problem in der Zeit nicht stellen wird. In der Außenpolitik bleibt das Thema EU-Beitritt der Türkei umstritten. Die Parteichefs sollen entscheiden.
Energie
Bei diesem Schwerpunktthema wird am Wochenende eine Einigung erwartet. Die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energie soll deutlich reduziert werden – besonders für Windstromanlagen an windreichen Standorten. Trotzdem soll der Ökostrom-Anteil bis 2020 auf 40 Prozent steigen.
Die Umweltpolitiker haben sich darauf verständigt, Fracking so lange nicht zu erlauben, bis die Risiken dieser Gasfördertechnologie geklärt sind.