Brüssel. Die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer mit mehreren hundert Toten haben Europa wachgerüttelt. Seit Wochen diskutiert die EU über das Drama. Doch auch der EU-Gipfel lässt auf Worte kaum Taten folgen. Letztlich dürfte alles beim Alten bleiben, was durchaus im Sinne der Bundesregierung ist.

Europa sieht trotz Kritik keinen Anlass zu einer Änderung seiner Flüchtlingspolitik. Auch nach dem Tod von rund 400 afrikanischen Flüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa will die EU die Verteilung von illegalen Einwanderern nicht neu regeln. Im Entwurf der Abschlusserklärung des Brüsseler Gipfels kündigt die EU zwar "konsequente Maßnahmen" an, um solche Tragödien zu verhindern. Es ist aber keine grundlegende Neuausrichtung vorgesehen. Die Tragödie im Mittelmeer und ihre Folgen spielen in dem Text nur eine untergeordnete Rolle.

Beim EU-Gipfel sprachen die Staaten am Freitag Italien ihre Solidarität aus und bekundeten "tiefe Trauer" über die jüngsten Ereignisse. Die Staatenlenker diskutierten auf Druck der Südeuropäer über das Thema. "Wir verlangen, dass Europa seinen Zugang zu diesem Thema ändert", hatte Italiens Ministerpräsident Enrico Letta zu Beginn des Gipfels gesagt. Der Premier Maltas, Joseph Muscat, kritisierte: "Das sind nur Worte. Auf diese Worte müssen Taten folgen." An den Küsten von Malta landen ebenfalls viele Bootsflüchtlinge.

Keine Mehrheit für radikalen Kurswechsel

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann brachte eine Quote ins Gespräch: "Was aber Teil bei der Lösung oder der Milderung des Problems für Flüchtlinge wäre, ist natürlich, wenn jedes Land bereit wäre, eine gewisse Quote von Asylwerbern, Flüchtlingen aufzunehmen."

Doch solch ein radikaler Kurswechsel hat in Europa keine Mehrheit. Die meisten EU-Regierungen - darunter Deutschland - sind mit dem bestehenden System einverstanden. Die Dublin-II-Verordnung legt fest, dass das EU-Land zuständig ist, in dem der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Das führt dazu, dass Flüchtlinge, die etwa aus Italien nach Deutschland kommen, dorthin abgeschoben werden. In der Gipfel-Erklärung taucht das Thema Dublin-II nicht auf.

Grenzschutz soll verbessert werden

Laut dem Text soll eine eingesetzte Expertengruppe "gemäß den Grundsätzen der Vorbeugung, des Schutzes und der Solidarität" Vorschläge für die EU-Flüchtlingspolitik machen. Die Staaten wollen demnach vereinbaren, den Grenzschutz sowie den Kampf gegen Schleuser und Menschenhändler zu verbessern. Im Juni 2014 will man sich laut Erklärung wieder auf Chefebene mit dem Thema befassen.

"Geleitet vom Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten" sollten konsequente Maßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, dass Menschen auf See ihr Leben lassen und dass sich solche menschlichen Tragödien wiederholen. Die eigentlichen Ursachen der Migrationsströme müssten bekämpft werden.

Deutschland soll mehr Flüchtlinge aufnehmen

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), hatte mehrfach gefordert, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen sollte, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Die Bundesregierung weist hingegen stets darauf hin, dass Deutschland im Vergleich zu Italien wesentlich mehr Asylbewerber pro Kopf der Bevölkerung aufnehme. Laut Statistik kamen in Deutschland 2012 rund 945 Asylbewerber auf eine Million Einwohner, in Italien dagegen nur 260.

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Bei Flüchtlingsdramen vor der italienischen Insel Lampedusa waren jüngst mehr als 400 illegale Einwanderer ums Leben gekommen. Der Strom reißt nicht ab: Mehr als 800 Bootsflüchtlinge aus Afrika wurden in der Nacht zum Freitag vor der italienischen Küste aufgegriffen.

EU-Gipfel diskutiert Stresstests für Banken

Der Gipfel diskutierte auch über die Bankenunion und Maßnahmen zur Stärkung maroder Institute. Nach den geplanten Stresstests im kommenden Jahr könnten neue milliardenschwere Hilfsmaßnahmen nötig werden, wenn Institute bei den Tests durchfallen. In der Abschlusserklärung schwächten die Staatenlenker Formulierungen zur direkten Bankenrekapitalisierung aber ab. So wurde die zunächst geplante Frist bis Jahresende für direkte Finanzspritzen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM an Banken aus dem Text herausgenommen. Insbesondere Deutschland hat dagegen Bedenken. (dpa)